Duisburg.. Der Duisburger Schiffsausrüster Frank Wittig verliert durch die Rente mit 63 zwei Fachkräfte und hat keine Zeit, geeignete Nachfolger aufzubauen.
Ob jemand seinen Beruf zum Broterwerb oder aus Leidenschaft ausübt, darüber sagen seine Augen mehr als tausend Worte. Die Augen von Rolf Rippelmeier beginnen zu leuchten, sobald er ins Erzählen kommt, wie ein Schiffsfenster vermessen wird, jedes ein Unikat, welche Dichtung welche Tücken hat, dass jeder Millimeter zu viel oder zu wenig die Maßanfertigung unbrauchbar macht.
Typen wie Rippelmeier seien unersetzlich, sagt sein Chef Frank Wittig. Er ist heilfroh, dass Rippelmeier als Teilzeitkraft weitermacht, nachdem er vor zwei Jahren wegen einer Schwerbehinderung mit 63 in Rente ging. Zwei andere erfahrene Kräfte verliert er nun aber an die neue Rente mit 63, und die setzen sich ganz zur Ruhe. Er wird sie, wenn überhaupt, so bald nicht ersetzen können, sagt der Geschäftsführer der Wittig GmbH.
"Es ist, als würden Sie Slalom fahren"
255 000 Menschen in Deutschland haben bis Ende Februar einen Antrag auf die abschlagsfreie Rente mit 63 gestellt. Zwei davon arbeiten beim Duisburger Schiffsausrüster Wittig mit seinen 38 Mitarbeitern am Standort Duisburg. Frank Wittig ist ihnen nicht gram. Das fiele auch schwer bei Biografien wie der seiner Bürokraft, die mit 14 Jahren die Lehre zur Kontoristin begann und nun seit 49 Jahren im Familienbetrieb arbeitet. „Sie war der erste Lehrling meines Vaters“, sagt Frank Wittig, und jetzt leuchten auch seine Augen.
Die Rente mit 63 könne man ja machen, meint er, nur fühlt er sich von der Regierung überrumpelt, weil alles so schnell ging. Vor einem Jahr stellte Arbeitsministerin Nahles ihr Rentenpaket vor, schon im Sommer trat es in Kraft. „Das macht jede langfristige Personalplanung obsolet. Es ist, als würden Sie Slalom fahren und mitten im Lauf steckt einer ein neues Tor“, sagt Frank Wittig. „Wenn ich weiß, der oder die hört in zwei Jahren auf, fange ich an, einen Nachfolger auszubilden. Von heute auf morgen kann ich niemanden ersetzen.“ Neben seiner Bürokraft verliert Wittig einen Außendienstler, der „dank exzellenter Verbindungen neue Geschäfte und Umsatz generiert“, wie Wittig sagt. Einen Nachfolger hätte er erst einmal längere Zeit mit auf Tour schicken müssen, „das geht jetzt nicht mehr“.
Kleine Betriebe leiden am meisten
Wirtschaftsverbände beklagen den Verlust erfahrener Fachkräfte durch die Rente mit 63, der Wirtschaftsflügel der Union fordert bereits Nachbesserungen, weil viel mehr in Rente gingen als von Nahles erwartet. Unternehmen, die ohnehin gerade Stellen abbauen, kommt das Gesetz allerdings sogar entgegen. Konzerne klagen deshalb kaum bis gar nicht über die Rente mit 63. Der frühzeitige Verlust einer Fachkraft schmerzt umso mehr, je kleiner der Betrieb ist – und je spezialisierter die Tätigkeit.
Die Wittig GmbH könnte spezialisierter kaum sein. Sie sitzt in der Nähe des Duisburger Hafens und liefert Binnenschiffern alles, was sie an Bord brauchen – und zwar genau in den paar Minuten, die das Schiff festmacht oder vor einer Schleuse wartet. Auf den Paletten im Lager stapeln sich Taue, Rettungsringe, Farbeimer neben Waschmitteln, Klopapier und der neuen Kaffeemaschine. Dinge des täglichen Bedarfs eben – für Schiff, Kapitän und Crew. Sie werden direkt aufs Schiff geliefert.
„Das ist Logistik pur. Manchem fällt auf dem Rhein kurz vor Duisburg ein, was er an der Ruhrschleuse alles braucht. Das kann kein externer Spediteur, das machen wir selbst“, erzählt Wittig. Nur seine Leute wissen genau, wie sie wo auf die Schiffe kommen, mitunter klettern sie, die Lieferung in kleinen Päckchen geschultert, die steilen Spundwand-Leitern runter. Fehlen darf nichts, schon gar kein Ersatzteil. „Wenn ein Schiff unseretwegen einen Tag im Hafen liegen muss, kostet das 1000 Euro.“
Mittelständler wie Wittig leben davon, dass sie eine Nische gefunden und ausgefüllt haben. Je spezieller, desto schwieriger ist es, erfahrene Kräfte mal eben zu ersetzen. Ob Bürokraft, Lagerist oder Fahrer – keine Standardausbildung bereitet Fachkräfte auf die Besonderheiten eines solchen Unternehmens vor. Deshalb will Frank Wittig nicht noch einmal so unvorbereitet von der Frührente eines Mitarbeiters getroffen werden. „Das kann jetzt jedes Jahr bei dem ein oder anderen passieren, wir wissen ja nicht bei jedem, ob er auf 45 Berufsjahre kommt. Deshalb fragen wir künftig frühzeitig nach, um reagieren zu können.“