Haltern am See. . Gewerkschaftschef Vassiliadis fordert, die Energiewende aus Steuern zu bezahlen
Die Energiewende beschäftigt viele Menschen in Deutschland, aber wenige so allumfassend wie Michael Vassiliadis. Der Chef der IG Bergbau Chemie Energie vertritt die Mitarbeiter der wankenden Energieriesen ebenso wie die der stromintensiven Chemieindustrie. Die einen klagen über den Preisverfall des konventionellen Stroms, die anderen über hohe Energiekosten. Einfache Lösungen sind Sache der IGBCE deshalb nicht. Neue Subventionen etwa für unrentable Kohlekraftwerke würden den Stromriesen helfen, der Chemieindustrie nicht, weil Strom dann noch teurer würde. Deshalb dreht Vassiliadis lieber am großen Rad als an kleinen Stellschrauben. Die Energiewende solle komplett über Steuern finanziert werden statt über die Ökostrom-Umlage, lautet seine Forderung.
Die EEG-Umlage, die derzeit mit 6,17 Cent pro Kilowattstunde rund ein Fünftel des Strompreises ausmacht, sei „unfassbar teuer“, sagte Vassiliadis vor Journalisten in Haltern am See. Die allein 2014 so umverteilten 22 Milliarden Euro fehlten an anderer Stelle, etwa für den Netzausbau, ohne den die Energiewende nicht gelingen könne.
Als Ausweg sieht er nur einen radikalen Kursschwenk. Ökostrom müsse wie konventioneller „auktioniert“, sprich zu Markt- statt Garantiepreisen verkauft werden. Zudem müsse der Ausbau der Netze und Kapazitäten europäisch organisiert werden. „Ein europaweites Zusammenschalten von Windparks entlang der Küsten, von Wasserkraft aus Skandinavien und Solarenergie aus dem Süden wäre ein vernünftiger Weg zu einer sicheren Energieversorgung“, so Vassiliadis.
Vor allem aber will er die Kosten des deutschen Alleingangs sichtbarer machen. Die Umlage über den Strompreis will er abschaffen und die Energiewende über Steuern finanzieren. Der aktuelle Haushalt habe einen Spielraum von 22 Milliarden Euro – exakt die Summe der EEG-Umlage. Er verwies auch auf den Soli, der 15 Milliarden im Jahr einbringt und 2019 ausläuft. Wie die Wiedervereinigung sei die Energiewende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie aus Steuern zu bezahlen, nehme endlich jene Politiker in die Verantwortung, „die sich bislang hinter der Stromrechnung verstecken können“.
Sozial gerechter sei eine Steuerfinanzierung auch, weil dann jeder nach seiner Leistungsfähigkeit belangt werde. Die EEG-Umlage zahlt dagegen jeder, ob Hartz-IV-Empfänger oder Millionär.
Wie in Haltern zu hören war, stößt die IGBCE mit ihrem Vorstoß bei Fachpolitikern der Großen Koalition durchaus auf offene Ohren. Darüber, dass sich die Regierung zeitnah zu einer derartigen Kehrtwende durchringen könnte, macht man sich aber keine Illusionen. Das war vor einem Jahr genauso, als Vassiliadis eine nationale Gesellschaft für Steinkohlekraftwerke vorschlug. Sie würde die Kraftwerke bündeln, damit die Konzerne entlasten und die Stromversorgung staatlich sichern. Ein geordneter Rückzug aus der Kohleverstromung, die noch für Jahrzehnte benötigt wird, um die Schwankungen des Ökostroms aufzufangen, könne wie einst bei den Zechen mit der Ruhrkohle AG besser und sozialer organisiert werden.
Kritik an Kanzlerin Merkel
Dass Vassiliadis damit nicht so weit am Nerv der Zeit vorbei zielte, zeigte sich spektakulär, als Marktführer Eon im Dezember ankündigte, seine konventionellen Kraftwerke in eine neue Gesellschaft ausgliedern zu wollen. Sollte die Regierung sich in den kommenden Wochen nicht zu einer Subventionierung der Kohle- und Gaskraftwerke per Kapazitätsmarkt durchringen, könnte Vassiliadis’ Kohlestrom AG in der Debatte künftig vielleicht doch noch Rolle spielen.
In der Problemanalyse sei man sich mit vielen Politikern weitgehend einig, hieß es in Haltern, das habe sich jüngst auch bei der Energietagung des CDU-Wirtschaftsrats gezeigt. Was die Gewerkschaft vermisst, sei ein beherzteres Auftreten der Kanzlerin. Ohne Merkels Richtlinienkompetenz werde es keinen echten Kurswechsel geben.