Essen. Der Fiskus will weltweit eingekaufte Hotelleistungen von Reiseunternehmen besteuern. Diese fürchten um Jobs und kritisieren die „absurde Auslegung“.
Irrsinn, Willkür, Aberwitz – keine Vokabel scheint den deutschen Reiseunternehmen derzeit zu gewagt im Kampf gegen die Besteuerung ihrer weltweit eingekauften Hotelleistungen durch den deutschen Fiskus. „Das ist das teuerste Thema, das uns die Politik aufgebürdet hat“, schlägt Norbert Fiebig, amtierender Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV) und vormals Boss des Branchenriesen DER Touristik (Köln, Frankfurt), Alarm.
Die Ausweitung der Bemessungsgrundlagen für die Gewerbesteuer auf Hotelübernachtungen würde die Branche nach Berechnungen des DRV 1,4 Milliarden Euro kosten. Schlimmer noch: Gerade kleineren und mittelständischen Reiseveranstaltern drohe durch die „realitätsferne Auslegung“ der Gewerbesteuer der Ruin. Zehntausende Arbeitsplätze seien gefährdet.
Schrille Töne also in einer Branche, die normalerweise nicht zu den Lauten im Land zählt. Die Deutschen sind Reiseweltmeister und das Tourismus-Gewerbe profitiert davon. Allzu vernehmliches Wehklagen ist aus den Kreisen von TUI, Alltours & Co gewöhnlich nicht zu hören. Was bringt die Reisebranche, die sonst eher auf der Sonnenseite der wirtschaftlichen Entwicklung steht, also derart auf die Palme?
„Absurde Sichtweise des Gewerbesteuerrechts“
Schon seit Monaten murren die Verbände gegen eine nach ihrem Verständnis „absurde“ Sichtweise des Gewerbesteuerrechts, das es in seiner jetzigen Gestalt zwar schon seit der grundlegenden Reform der Unternehmenssteuer im Jahr 2008 gibt, aber erst jetzt zur vollen Blüte gelangt. Bislang zirkulierte das Thema überwiegend in Branchenkreisen. Seit geraumer Zeit laufen hinter den Kulissen Gespräche zwischen Politikern und Branchenvertretern. Das bestätigt auch das NRW-Finanzministerium. Doch nun scheint den betroffenen Unternehmen die Zeit davon zu eilen. Die ersten Steuerbescheide sind schon ergangen. „Es ist fünf vor Zwölf“, sagte ein Unternehmensvertreter dieser Zeitung.
Darum geht es: Die Finanzbehörden von Bund und Ländern werten derzeit den gesamten Einkauf von Hotelleistungen eines Reiseveranstalters im Ausland wie ein Mietverhältnis und schlagen es dem Anlagevermögen zu. Vereinfacht ausgedrückt: Hotelleistungen werden steuerlich so behandelt, als wären sie eine Produktionsstätte im Ausland, nicht eine Ware, die der Reiseveranstalter seinem Kunden anbietet. Das halten die Veranstalter für eine glatte Fehlinterpretation.
Belastung in zweistelliger Millionen-Höhe
Betroffen sind nicht nur die Branchenriesen wie TUI in Hannover oder die zum Kölner Rewe-Konzern gehörende DER Touristik, sondern auch kleinere Veranstalter wie der Hagener Fernreise-Spezialist Wikinger Reisen (130 Mitarbeiter, 82 Millionen Umsatz). Alltours (Umsatz: 1,47 Milliarden Euro), jüngst von Duisburg nach Düsseldorf umgezogen, flatterte bereits eine saftige Steuerforderung in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags ins Haus. Unternehmenssprecher Stefan Suska: „Wir haben Einspruch eingelegt und werden uns bis zur letzten juristischen Instanz wehren.“
Beim Duisburger Konkurrenten Schauinsland läuten ebenfalls die Alarmglocken. Noch setzt Geschäftsführer Gerald Kassner derzeit alle Hoffnung auf laufende Gespräche mit den Finanzbehörden. Doch sollte es zu keiner Einigung kommen, drohen dem Familienunternehmen ein höherer zweistelliger Millionenbetrag als Nachforderung sowie eine jährliche Mehrbelastung in einstelliger Millionenhöhe. „Dann“, so Kassner; „müssen wir wohl oder übel über Verlagerung von Firmenteilen ins benachbarte Ausland reden.“ Alltours denkt in dieselbe Richtung.