Witten/Herdecke. .
Als die Universität Witten/Herdecke 1994 zur Einführung von Studiengebühren gezwungen wurde, sahen alle die Gefahr: Wie wollte man weiter sicherstellen, dass die motiviertesten und geeignetsten jungen Leute an die Hochschule kommen und nicht nur die mit reichen Eltern? In dieser Lage entstand mitternachts auf einer Papierserviette am Küchentisch einer Wittener Studenten-WG die Idee des Umgekehrten Generationenvertrages: die zeitliche Entkoppelung von Studium und Zahlung von Studienbeiträgen. Erst studieren, später, im Beruf, zahlen. So finanzieren Absolventen die aktuell Studierenden.
Die Studenten beließen es aber nicht beim Konzept. Sie nahmen die Verwirklichung in die eigenen Hände und gründeten 1995 die StudierendenGesellschaft, als gemeinnützigen Verein. Der hat inzwischen 3000 Mitglieder und ist mit einem Anteil von knapp vier Prozent Gesellschafter der Universität. Und kümmert sich immer noch ums Management der Studienbeiträge.
Es ist nur so, dass die Universität wächst. 2000 Studenten hat sie heute, 2500 sollen es 2020 sein. Und der Anteil derer, die erst später zahlen wollen, ist von 20 auf knapp 50 Prozent geklettert. Deshalb reicht das eingehende Geld der Absolventen für den aktuellen Betrieb nicht aus. Und obwohl eine Zwischenfinanzierung über Bankkredite zwar bereits praktiziert wird und weiter möglich wäre, hat sich die Studierendengesellschaft zu einem ganz neuen Schritt entschlossen: Sie bringt am kommenden Montag eine Anleihe für Privatanleger auf den Markt. 7,5 Millionen Euro sollen so zusammenkommen. Der Zinssatz beträgt bei einer Laufzeit von zehn Jahren üppige 3,6 Prozent, der Einstieg ist ab 1000 Euro möglich.
Das Interesse ist groß
„Wir sind sicher, dass das Geld sehr schnell zusammenkommt“, sagt Niklas Becker, Finanzvorstand der Studierendengesellschaft. Der 30-Jährige und seine Vorstandskollegen haben ein Jahr lang sehr viel Arbeit in das Projekt gesteckt, haben den Markt sondiert, mit Finanzdienstleistern, Banken und Unternehmern gesprochen und schließlich mit einem Anwalt die nötigen Dokumente gefertigt, die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen gebilligt werden mussten.
Warum haben sich die Studenten die ganze Mühe gemacht? „Wir wollten unabhängiger von den Banken werden,“ sagt Becker. Und was macht ihn so optimistisch, was die Nachfrage angeht? „Wir sind bei Gesprächen mit Freunden und Förderern, mit Stiftungen und Vermögensverwaltungen auf viel Interesse und Sympathie gestoßen. Da ging es in erster Linie darum, was mit dem Geld geschieht, um die Finanzierung einer sinnvollen Ausbildung. Wie viel mit der Anleihe zu verdienen ist, stand nicht sofort im Vordergrund.“
3,6 Prozent, ausgezahlt wird jährlich, klingen zunächst nicht schlecht. Das sind 2,7 Prozent mehr als sich mit Bundesanleihen erzielen lassen. Doch was ist mit dem Risiko? Die Absolventen könnten eventuell nicht genug verdienen. Rückzahlung ist erst ab einem Einkommen von 30 000 Euro vorgesehen. Und was, wenn die ganze Universität, wie in der Geschichte mehrmals geschehen, in eine finanzielle Schieflage geraten, wenn Sponsoren abspringen oder staatliche Förderungen wegfallen, wenn sich Kosten und/oder Studentenzahlen nicht so entwickeln wie erwartet? „Wir haben knapp 20 Jahre Erfahrung mit Rückzahlungen“, sagt Niklas Becker. „Die Zahlungsmoral ist sehr hoch. Es geht normalerweise mehr ein als veranlagt.“ Und wenn die Uni Probleme bekomme, sei da immer noch der eigenständige Verein mit seinen werthaltigen Verträgen.
Bestellen lässt sich die Anleihe bei jeder Bank oder übers Depot. Gehandelt werden kann sie an der Düsseldorfer Börse, auch wenn Becker davon ausgeht, dass die meisten Zeichner sie über die volle Frist halten werden. Weitere Anleihen sind in späteren Jahren geplant: „Wir wollen variabel auf die Anzahl der Studierenden und der Spätzahler reagieren.“