Seit Monaten sind die Preise für Erdöl im freien Fall. Das wirkt wie eine gigantische Konjunkturspritze für die Weltwirtschaft. Die Verbraucher profitieren direkt – an den Tankstellen und beim Befüllen ihrer Heiztanks. Doch Experten warnen vor allzu großer Euphorie und sehen schon das Ende der billigen Energie kommen.

Der seit Monaten anhaltende Preisverfall beim Erdöl wirkt wie eine riesige Konjunkturspritze für weite Teile der Welt. Experten gehen davon aus, dass allein die deutsche Volkswirtschaft derzeit einen zweistelligen Milliardenbetrag einspart, weil die Preise für die gängigen Erdölsorten Brent und WTI seit dem Sommer um bis zu 20 Prozent eingebrochen sind. Und: Der positive Ölpreis-Schock kennt Milliarden Gewinner. Denn die niedrigen Energiepreise kommen direkt bei den Konsumenten an.

In den USA sank der Preis für die Gallone Sprit (3,79 Liter) jetzt erstmals seit vielen Jahren unter die psychologisch wichtige Drei-Dollar-Marke. Damit zahlen amerikanische Autofahrer umgerechnet nur noch etwa halb so viel für Benzin wie deutsche.

Doch auch hierzulande wirkt sich der Absturz der Ölpreise wie ein gigantisches Steuersenkungsprogramm aus, wenn auch etwas abgebremst durch den schwachen Euro-Kurs, der Öl im Vergleich zum Dollar-Raum teurer macht. Die Spritpreise sind seit Monaten rückläufig, zur Freude aller Autofahrer – und der Mineralölindustrie: Marktführer BP (mit Aral) beobachtet aktuell eine gestiegene Nachfrage an den Zapfsäulen.

Laut ADAC kostete der Liter Super E10 im Oktober durchschnittlich 1,48 Euro. Diesel war für 1,32 Euro zu haben. Je nach Tageszeit zapfen Tankstellen ihren Kunden sogar noch deutlich weniger ab: Das Onlineportal „spritpreismonitor.de“ ermittelte für Essen jüngst einen Diesel-Preis von zeitweise unter 1,22 Euro. Das billige Öl ist zudem kein Strohfeuer, tanken kann man so preiswert wie seit dreieinhalb Jahren nicht. Auch Heizöl ist infolge der niedrigen Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt günstig wie lange nicht.

Auslöser für den rasanten Abwärtsdrall ist nach Einschätzung vieler Experten neben einer allgemeinen Flaute der Weltkonjunktur vor allem der Schieferöl-Boom in den USA. Dank der umstrittenen Fracking-Technik, mit der Erdöl aus bisher unzugänglichen Gesteinsschichten herausgepresst werden kann, sind die USA auf dem besten Weg, Saudi-Arabien als weltgrößten Erdölproduzenten abzulösen. Wider Erwarten reagiert die mächtige Organisation erdölexportierende Länder (Opec) diesmal nicht wie üblich mit einer Produktionsdrosselung auf den Preisverfall. Die Saudis senkten stattdessen sogar noch die Preise.

Doch in den Jubel über billige Energie mischt sich Skepsis. „Nur weil einige Wochen die Ölpreise fallen, sollte man jetzt nicht alle langfristigen Prognosen über Bord werfen“, warnt der Hamburger Energie-Experte Steffen Bukold im Gespräch mit dieser Zeitung. Den Fracking-Boom in den USA hält Bukold für eine temporäre Erscheinung. Die Produktion werde voraussichtlich schon in einigen Jahren stagnieren und dann mit wachsender Geschwindigkeit einbrechen.

Bukold bleibt bei seiner Prognose, dass das Ende des Ölzeitalters schon in Sicht ist: „Die globale Nachfrage steigt nach wie vor Jahr für Jahr. In absehbarer Zeit wird das Tempo der Produktion nicht mehr Schritt halten können mit dem weltweiten Verbrauch. Dann steigen die Preise unweigerlich.“