Winnenden. Der 17-jährige Amokläufer von Winnenden, Tim Kretschmer, war mehrfach in Behandlung – setzte sie dann aber nicht fort. Offenbar gab es bei den Ermittlungen eine große Panne: Der baden-württembergische Innenminister präsentierte womöglich eine gefälschte Internetbotschaft des Amokläufers.

Der 17-jährige Tim Kretschmer, der am Mittwoch in Winnenden bei Stuttgart 15 Menschen und dann sich selbst erschossen hatte, war psychisch krank. Wie am Donnerstag bekannt wurde, war der Amokläufer im Jahr 2008 fünf Mal wegen Depressionen in Behandlung. Die Therapie hätte in Winnenden fortgesetzt werden sollen, was aber nicht geschah.

Warum immer wieder Schulen?

Der Amokläufer habe aber nicht aus einer depressiven Erkrankung heraus gehandelt, dieses könne man „nahezu ausschließen”. Das sagte Prof. Ulrich Hegel, Sprecher des Kompetenzzentrums Depression, zur WAZ. „Jemand, der depressiv, ist, wird nicht so aggressiv”, betonte der Leiter der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie am Universitätsklinikum Leipzig. Es sei nicht auszuschließen, dass gleichzeitig andere psychische Erkrankungen vorgelegen hätten.

Dass immer wieder Schulen Ziel von Amokläufern werden, liegt nach Ansicht von Experten daran, dass sie als Stätten von Versagen oder Demütigungen empfunden werden. „Der Amokläufer wendet sich damit an die Leute, die ihm als die Schuldigen an seiner Lage vorkommen. X-beliebige Menschen, etwa in einem Kaufhaus, umzubringen, ist für ihn nicht interessant”, sagte der Leiter der schulpsychologischen Beratungsstelle Münster, Lothar Dunkel.

Minister präsentierte offenbar gefälschte Chat-Auszüge

Bei der Suche nach einem Motiv für die Tat ist Polizei, Staatsanwaltschaft und baden-württembergischen Innenministerium womöglich eine große Panne unterlaufen. Den ganzen Donnerstag über hatten sie von einer Internet-Botschaft berichtet, in der Kretschmer mit markigen Worten seine Tat angekündigt habe. Diese Botschaft habe der 17-Jährige in der Nacht vor dem Amoklauf auf seinem Computer geschrieben und an ein Internetforum geschickt.

Andere Nutzer des Forums hätten die Nachricht aber nicht ernst genommen – und sich erst nach dem Amoklauf gemeldet. Der Betreiber des Forums hatte sich vehement gegen diese Darstellung gewandt und den von Innenminister Heribert Rech präsentierten Internetbeleg als Fälschung bezeichnet. Die Behörden aber waren zunächst bei ihrer Darstellung geblieben.

Staatsanwaltschaft: "Wir sind wie vor den Kopf gestoßen"

Am Abend dann die Wende: Die Polizei dementierte nun, dass sie auf dem Computer des Amokläufers eine Ankündigung gefunden habe. Es gebe Zweifel an der Echtheit des Eintrags, sagte ein Sprecher der Polizei Waiblingen. Bislang hätten sich lediglich zwei Personen gemeldet, die behaupteten, den Eintrag im Internet-Chat gesehen zu haben.

Auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart äußerte erhebliche Zweifel an der Darstellung Rechs. „Wir sind wie vor den Kopf gestoßen”, sagte die Sprecherin, Claudia Krauth, dem „Tagesspiegel”. Nun stehe die Staatsanwaltschaft „im Prinzip” wieder am Anfang. Die verletzten Schüler und die bei einem Schusswechsel angeschossenen Polizisten befanden sich am Donnerstag nicht mehr in Lebensgefahr. Die Kleinstadt Winnenden stand am Donnerstag weiter unter Schock.

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