Der Kopf der Wiener Klassik starb von 200 Jahren - als reicher Mann und als berühmtester Musiker seiner Zeit
Wir kennen Komponisten-Bilder, doch wer die Menschen wirklich waren, bleibt uns oft verschlossen. Beethoven wurde von der Nachwelt zum ringenden Titan stilisiert. Mozart wandelte sich vom heiteren Götterliebling zum aufmüpfigen Freigeist. Und Joseph Haydn, dessen Name sich wie kein zweiter mit der „Wiener Klassik“ verbindet? Er gilt bis heute als der etwas verzopfte, freundliche, aber im Grunde langweilige „Papa Haydn“. Seine Musik wurde, wie Haydn-Forscher Ludwig Finscher geschrieben hat, zum musealen Bildungsgut neutralisiert.
Als der Komponist vor 200 Jahren, am 31. Mai 1809, in der ersten Stunde des Tages sanft entschlief, war das noch anders. Haydn war der Patriarch der europäischen Musikwelt. Er hat die Grundlagen der Musikkultur des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts geschaffen. Nicht ohne Grund sagt er von sich selbst: „Meine Musik verstehet man durch die ganze Welt.“
Obwohl Haydn nur auf zwei Reisen nach London aus seiner Heimat zwischen Wien und Neusiedlersee ausbrach, war er ein weltmännisch denkender, aufgeschlossener Zeitgenosse. Seine internationalen Kontakte und seine Bibliothek zeigen einen Mann von Geist. Oft litt er unter der Isolation in Esterháza, dem Sitz seines Brotherrn, des Fürsten Esterházy. Doch empfand er dieses „von der Welt abgesonderte“ Leben auch als Vorteil: „Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so musste ich original werden“.
Haydns Karriere war nicht vorhersehbar: Er wurde mit acht Jahren nach Wien gebracht, um seine schöne Stimme in den Dienst der Chorknaben an St. Stephan zu stellen. Doch nach dem Stimmbruch war er auf sich selbst gestellt. Ein Glücksfall brachte ihn in Kontakt mit der Fürstin Esterházy. Haydn begegnete dem Komponisten Nicola Porpora und erlernte durch ihn „die ächten Fundamente der Sezkunst“. Haydns erste gesicherte Arbeit stammt aus dem Jahr 1749, eine Missa brevis in F-Dur.
Sein Weg war typisch für einen damaligen Musiker: Anstellung bei Adligen, Unterricht für die Kinder, Gelegenheitskompositionen, Leitung von Unterhaltungs- und Festmusiken. Ungewöhnlich bleibt jedoch, dass er fast ein halbes Jahrhundert im Dienst derselben Familie geblieben ist. Von 1760 bis zu seinem Tod diente er den Fürsten von Esterházy.
Kaum zu überschätzen
Haydns musikalische Bedeutung ist kaum zu überschätzen. Aus der Notwendigkeit heraus, für vier Freunde zu komponieren, „erfand“ er mit Anfang Zwanzig das Streichquartett. Für Fürst Nikolaus Esterházy schrieb er 126 Trios für das Baryton, ein Instrument aus der Familie der Gamben. In seinen 104 Symphonien geht er ideenreich und experimentierfreudig vor. Ein guter Teil von ihnen gehört, wie die „Londoner“ und „Pariser“, zu den Hauptwerken der Gattung. Vernachlässigt werden seit jeher Haydns Opern, obwohl er etwa mit „Die Welt auf dem Monde“ ein charmantes, ironisches Werk hinterlassen hat. Seine Messen sind aus dem Geist des katholischen Glaubens beseelt, obwohl Haydn wie viele Intellektuelle seiner Zeit Freimaurer war. Sie können nicht als bloße Pflichtübungen abgetan werden.
Seine letzte große öffentliche Stunde
Bei einer prachtvollen Aufführung seines Oratoriums „Die Schöpfung“, zu seinen Ehren von Antonio Salieri geleitet, erlebte Haydn am 27. März 1808 seine letzte große öffentliche Stunde. Da war er schon ein hinfälliger Greis, litt unter dem Verfall seiner Kräfte. Sein Tod war begleitet von den Donnerschlägen einer neuen Zeit: Napoleon hatte Wien besetzt und der alte Haydn spielte mit seinen zittrigen Händen die „Kaiserhymne“, bis er nicht mehr konnte: Ein rührend vergeblicher Versuch, das Alte zu beschwören, das im Gefechtslärm um Haydns Haus, heute im Sechsten Bezirk von Wien, unterging.