Essen. Nach der Tat im April 2002 mit ebenfalls 17 Toten verschärfte die Politik die Waffengesetze und zog weitere Konsequenzen. Doch in Thüringens Haupttstadt werden noch heute einige Menschen psychologisch betreut, die die Schüsse überlebten.

Während des Amoklaufs in Erfurt hatten eingeschlossene Schüler einen Hilferuf ins Fenster gehängt. (Foto: ddp)
Während des Amoklaufs in Erfurt hatten eingeschlossene Schüler einen Hilferuf ins Fenster gehängt. (Foto: ddp) © ddp

In der Chronik des Gutenberg-Gymnasiums steht für den 26. April: „Siebter Gedenktag”. Die Andreaskirche wird läuten, und dann werden sich Schüler und Lehrer und alle, die wollen, treffen auf dem Schulgelände.

Sie werden reden über den Schwarzen Freitag von Erfurt und werden nochmals trauern um die 16 Menschen, die damals erschossen wurden und deren Namen hier auf einer Gedenktafel stehen: Von Heidrun Baumbach bis Peter Wolff, ein Ronny ist darunter, eine Susann, eine Yvonne-Sofia . . .

Nicht diese Waffen

„Jeder von ihnen war einzigartig, und solche Menschen finden nicht ihresgleichen”, sagte damals die Schülerin Constanze Krieg in ihrer Trauerrede. Die 16 waren „die Opfer von Erfurt”; es bezeugt die Dimension von Verbrechen und Katastrophen, wenn der Name der Stadt zu ihrem Synonym wird.

„Gladbeck” ist das Geiseldrama, „Ludwigshafen” ist der Brand, und „Erfurt” ist seit dem 26. April 2002 der Schul-Amoklauf schlechthin. Der erste ganz große in Deutschland. Es gab sie schon sehr viel früher, schon Jahrhunderte früher: Nur hatten Täter nicht diese Waffen. Keine Pumpgun, wie Robert S. eine nutzte, der Sportschütze. Und so verschärfte die Politik wenige Monate nach, eben, Erfurt, das Waffenrecht.

Waffen verboten

Sie setzte das Mindestalter von 18 auf 21 Jahre herauf, wenn man Waffen kaufen will. Sie verbot Pumpguns mit Pistolengriff, Wurfsterne und mehrere Arten von Messern. Sie verschärfte die Vorschriften für die Aufbewahrung von Waffen und Munition. Sie führte den Kleinen Waffenschein ein für Gas- und Schreckschusswaffen. Seitdem müssen Menschen, die noch keine 25 Jahre alt sind, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorlegen über ihre Eignung.

Sie tat also eine Menge, es wird auch geholfen haben, doch offensichtlich lassen solche Verbrechen sich nicht 100-prozentig verhindern. Und das, obwohl zum Oktober 2008 das deutsche Waffenrecht nochmal dem teils schärferen EU-Recht angepasst wurde; dabei ging es allerdings vor allem um Nachahmungen von Schusswaffen.

Auch die Vorschriften für Gewaltvideos und -Computerspiele wurden verschärft, denn S. hatte gerne „Ego-Shooter” gespielt. So ist seitdem der Zugriff erschwert, im Verkauf gelten Altersgrenzen, und die damalige „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften” bekam auch die Kompetenz, neue Medien auf den Index zu setzen. Das ist freilich kein Verbot, Indiziertes ist nur schwerer zu bekommen und auch nur von Erwachsenen.

Schulabschluss

Und noch eine Lehre zog man aus – Erfurt: Gymnasiasten in Thüringen legen seitdem nach der 10. Klasse eine Prüfung ab, die dem Realschulabschluss entspricht. Zuvor hatten Schüler in Thüringen, die beim Abi durchfielen, gar keinen Schulabschluss. Sie hatten auch keinen, wenn sie wegen schlechter Vorleistungen gar nicht erst zum Abi zugelassen wurden – genau so war es bei Robert S.

Jedenfalls haben Thüringen und seine Hauptstadt Erfurt am Mittwoch Winnenden ihre Hilfe angeboten. „Wir haben erfahrene Leute, die in dieser schlimmen Situation helfen können”, sagt Bürgermeisterin Tamara Thierbach. Polizeispezialisten bot sie an, Notfallseelsorger und Psychologen.

Noch 15 Menschen betreut

Erfurt weiß, was Winnenden bevorsteht: Auch sieben Jahre nach der Tat werden noch 15 Menschen betreut wegen posttraumatischer Belastungsstörungen. „Unsere Gedanken sind bei den Opfern, und sie werden uns immer unglaublich fehlen”, sagte Constanze Krieg damals, die Schülersprecherin: „Und manchmal kommt es mir so vor, als wären sie noch da.”

Mehr zum Thema: