Essen. Sie stammt aus dem Ruhrgebiet, lebt in Venedig und gilt als „Mafia-Expertin”: Petra Reski warnt die Deutschen eindringlich davor, die verbrecherische Organisation als rein italienisches Problem zu betrachten. Britta Heidemann sprach mit ihr.
Nach den Morden von Duisburg wird in Italien seit Oktober 42 Angeklagten in einem Schnellverfahren der Prozess gemacht. Wie beurteilen Sie dieses Verfahren?
Reski: Ein Problem der italienischen Gesetzgebung ist, dass es seit einigen Jahren eine ganze Reihe strafmindernder Umstände und strafverkürzender Absprachen gibt. In den seltensten Fällen muss jemand die Höchststrafe absitzen. Dennoch sind die Gerichte in Italien auf die Mafia-Fälle definitiv besser vorbereitet, als es ein deutsches Gericht wäre.
Weil italienische Gerichte die Clanstrukturen kennen?
Reski: Ja, natürlich. In Deutschland ist Mafiazugehörigkeit kein Delikt, in Italien aber schon. In Deutschland ermittelt die Polizei aufgrund bestimmter Verdachtsmomente, wir machen keinen Unterschied zwischen einem Mafiamord und einem normalen Mord. Wohingegen die italienische Polizei eine strukturelle Ermittlung macht, sie ermittelt dann auch die Struktur des Clans.
Sie befürworten eine Gesetzesänderung, die auch in Deutschland Mafiazugehörigkeit strafbar macht.
Reski: Absolut! Das ist sehr wichtig! Geldwäsche beispielsweise ist schwer nachzuweisen. Mafiosi kennen die Rechtslage in Deutschland sehr genau und nutzen sie. Nicht nur in Duisburg, sondern auch in anderen Orten in Deutschland gibt es Fälle, in denen ein Pizzabäcker nach zwei Jahren in Deutschland plötzlich für zwei Millionen ein Restaurant kauft. Da wissen die Ermittler natürlich sehr wohl, dass da etwas nicht stimmen kann.
Aber sie sind handlungsunfähig, weil es die Gesetze nicht gibt?
Reski: Und weil es hier nicht die Möglichkeiten der Ermittlungen gibt – es darf nicht abgehört werden in öffentlichen und privaten Räumen. Für die italienische Polizei sind solche Abhörmaßnahmen dagegen extrem wichtig und die einzige Möglichkeit, die Mafiaverdächtigen auch wirklich einigermaßen unter Kontrolle zu halten.
Es gibt derzeit einige gerichtliche Klagen gegen Ihr Buch, auch in Duisburg – kamen die für Sie überraschend?
Reski: Man macht sich mit einem Buch über Mafia naturgemäß keine Freunde. Aber es beruht ja nicht auf Erfindungen oder Behauptungen, sondern auf Dokumenten. Von daher sehe ich dem gelassen entgegen.
Sie sind aber auch persönlich angegriffen worden: Bei einer Lesung in Erfurt haben Sie sich von der Mafia bedroht gefühlt. Einer der Zuhörer sprach eine Ihrer Aussage nach typische Mafiadrohung aus, als er mehrfach sagte, er bewundere Ihren Mut …
Reski: Ja, das hat mich sehr überrascht, und es hat auch viele Italiener überrascht. So etwas wäre in Italien nie geschehen, dass jemand ein Buch über die Mafia schreibt und bei einer Lesung persönlich bedroht wird. Die Mafia fühlt sich hier offenbar sehr sicher.
Das stützt Ihre These, dass Deutschland mit dem Thema bisher naiv umgeht.
Reski: Sehr naiv, gutgläubig! Die meisten Deutschen glauben, dass der liberale Rechtsstaat sie vor der Mafia schützen würde. Die Mafia nutzt jedoch die Schlupflöcher in jedem Land aus, auch in Deutschland. Und auch den unerschütterlichen Glauben der Deutschen an das Funktionieren ihrer Gesetze. Die Italiener sind da anders. Sie sind misstrauisch, was den Staat und seine Gesetze angeht. Die Mafia wird von den Deutschen gerne als italienisches Problem betrachtet. Man schaut ein wenig auf Italien herab, nach dem Motto: Warum kriegen sie das nicht endlich geregelt?
Haben die Duisburger Morde uns nicht hinreichend das Gegenteil bewiesen?
Reski: Ich hoffe das sehr! Das Problem ist, dass die Mafia im öffentlichen Bewusstsein nur dann existiert, wenn es Tote gibt. Aber es gibt sie natürlich schon sehr viel früher, und sie arbeitet in Deutschland genau so wie in Italien: beschenkt auf lokaler Ebene Politiker, kauft sich Wirtschaftsförderer, die Ausländerbehörden, guckt vielleicht noch bei den Polizisten, was man da machen kann. So schafft sich die Mafia ein Netz von Abhängigkeiten.