Herrschaftszeiten, war das ein Auto, mein allererstes! Wenn ich so darüber nachdenke, gerate ich gleich ins Schwärmen. Es ist gerade mal knappe 30 Jahre her, als ich als stolze Besitzerin eines frisch erworbenen Führerscheins nach einem geeigneten Auto für mich Ausschau hielt.
Nicht zuteuer sollte es, denn als angehende Studentin war das so eine Sache mit dem geregelten Einkommen. Zu meinem großen Glück ließen meine Eltern und mein Opa verlautbaren, sich als Belohnung zum bestandenen Abi an der Anschaffung und der Versicherung für das erste Jahr zu beteiligen.
Während ich im Kreise der Familie darüber nachsann, eventuell ein Leasingfahrzeug zu nehmen und zwar einen Fiat Bambino in (gift) grün, den ich „Grünhospa“ (nach meinem Lieblingseis) benannt hätte, präsentierte mir mein Vater eines schönen Tages das Angebot über einen günstigen Gebrauchtwagen aus dem Besitz einer neuen, jungen Arbeitskollegin, die wegen ihrer Heirat und dem Umstand, mit ihrem Ehemann zusammen beim selben Arbeitgeber beschäftigt zu sein, nun für ihren „Studentenwagen“ keine Verwendung mehr hatte.
Nun ja, dieser „Studentenwagen“ war mit seinen zehn Jahren und hunderttausend Kilometern Fahrleistungschon betagter, aber er sah noch gut aus, war gepflegt und technisch in Ordnung. Verlockend war überdies, das Auto sofort übernehmen zu können. Der Leasingwagen hätte eine Lieferzeit von drei Monaten beansprucht.
Nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller Für und Wider entschied ich mich für die Sofortlösung: den lagunenblauen Citroen 2 CV 6 mit 19 PS, Standard, Lüftkühler mit „Wintermantel“, weiß lackierter Stoßstange sowie eben solchen Radkappen, innen ausgestattet mit bunt geblümten Schonbezügen.
Der Tag eins als frisch gebackene Autobesitzerin nahte. Mein Vater brachte die neue Kollegin samt 2 CV abends nach der Arbeit mit zu uns. Sie zeigte mir die Finessen meiner Errungenschaft. Der Anlasser war ein grauer Knopf am Armaturenbrett, den man wahlweise auch im Falle eines (Aus-) Falles mittels einer Handkurbel ersetzen konnte, um den Wagen zum Anspringen zu bewegen. Die Schaltung – bei den üblichen Autos zwischen den Vordersitzen positioniert – suchte man hier vergebens. Sie glich einem „Krückstock“ und hing unterhalb des Armaturenbrettes.
Die schönste Besonderheit war das Verdeck, das mein Auto zu einem Kabrio umwandelte. Es hielt ganz einfach an Gummibändern und Haken im geöffneten und geschlossenen Zustand. Das mutete alles ziemlich vorsintflutlich und abenteuerlich an, sollte mich aber nicht abschrecken, sondern eher neugierig machen.
Den Anlasser gedrückt, sprang meine „Wildente“ nach ein paar Krächzern an, dann den Krückstock durch Drehen und Ziehen oder Schieben in Position gebracht und die erste Spritztour konnte beginnen. Auf meiner ersten Fahrt begleitete mich meine große Schwester. Es war ein heißer Tag im August. Wir fuhren natürlich mit offenem Verdeck, hatten die unteren Hälften der quergeteilten Seitenscheiben hochgeklappt und die originelle Frontlüftung unterhalb der Windschutzscheibe, bestehend aus einer Klappe mit Fliegengitter gegen Insektenflug, die man mit Hilfe einer großen Stellschraube stufenlos hoch und runter klappen konnte, weit geöffnet. Herrlich, wie der Fahrtwind für Kühlung sorgte!
Wie habe ich die grenzenlose Freiheit genossen, unabhängig von Fahrplänen und Kilometerbegrenzungen, die mir bisher als Bus-, Bahn- oder Fahrradfahrerin aufgezwungen waren, nun all meine Ziele problemlos erreichen zu können! Fest das riesige Lenkrad im Griff, Ellbogen lässig aus dem Seitenfenster, schaukelten wir durch die Landschaft dahin. Immer wieder aufs Neue überrascht, wie biegsam und geschmeidig sich die Wildente in die Kurven neigte. Meine Mutter hattei mmer die Befürchtung, mit dem Auto umzukippen und bestand darauf, nur langsam um die Kurven gefahren zu werden.
Die Frontlüftung, so angenehm sie war, hatte auch einen großen Nachteil. Je nach Intensität des Insektenflugs gepaart mit rasanter Fahrweise sahen die Insassen auf den beiden Vordersitzen regelmäßig aus wie gerade den OP verlassende Chirurgen. Mit Blutspritzern besprenkelte Blusen und Shirts konnten so manch schöne Fahrt nachträglich vermiesen. Sollte da schon eine kleine Einschränkung inmeiner hochgelobten Freiheit zu finden sein?
Da mein Großvater sich äußerst spendabel gezeigt hatte, indem er denKaufpreis des Autos voll übernommen hatte, wollte ich auch ihn amaußergewöhnlichen Fahrgefühl teilhaben lassen. Da ich meistens knapp beiKasse war, hatte ich die Angewohnheit immer nur für den kleinen Geldbetrag, meistens in der Größenordnung von 5 bis 20 DM zu tanken. Für den Fall des Liegenbleibens lag ein gefüllter Reservekanister im Kofferraum. Als ich meinen Opa an Bord nahm, hatte ich bereits zahlreiche Fahrten sowie hinreichende Erfahrungen mit einem wegen Benzinmangels liegenbleibendem Auto hinter mir. So traf es mich nicht unvorbereitet, als uns während unseres Ausflugs der Motor während der Fahrt ausging. „Ist der Wagen schon kaputt?“ fragte mein Opa ganz nervös. Ich konnte ihn allerdings mit meinem „Nein, es ist nur der Spritmangel,“ wenig beruhigen.
Wie es das Schicksal so wollte, befanden wir uns auf einer abschüssigen Straße, an der wir in erreichbarer Entfernung rollend eine Tankstelle ansteuern konnten. Hier spendierte mir Großvater einen vollen Tank, mit dem wir ohne weitere Vorkommnisse nach Hause gelangten.
Die Wildente sorgte im Laufe der Zeit dafür, dass ich mich allmählich zu einer Spezialistin entwickelte. Der Anlasser fiel hin und wieder aus, so dass die Handkurbel zum Einsatz gelangte. Die Sicherung für das Autoradio und später für das Blinkrelais durfte ich auch einige male auswechseln. Daher hatte ich in meinem Aschenbecher schon einen kleinen Vorrat an Glassicherungen angelegt.
Das abenteuerlichste Erlebnis widerfuhr mir mit der streikenden Batterie. Das erste Mal verreckte der Motor im Feierabendverkehr mitten auf einer vielbefahrenen Straße. Zum Glück war mein Freund dabei. Er schob erst den Wagen aus der Kreuzung und ihn dann weiter an, bis die Ente dann wieder ansprang und wir unsere Fahrt fortsetzen konnten. Mein Vater lud die Batterie wieder auf.
Beim zweiten Mal befand ich mich auf der Rückfahrt von einer Party. Als ich gegen null Uhr die letzte Freundin zu Hause absetzte, spürte ich das bekannte weiche Gaspedal unter dem Fuß. „Ich glaube, die Batterie muss wieder aufgeladen werden,“ sagte ich ihr noch. „Am besten fahre ich noch eine Runde über die Schnellstraße um die Stadt, damit sie sich wieder auflädt.“ Wir verabschiedeten uns und ich fuhr los.
Nicht zu meinem nur noch sechshundert Meter entfernten Elternhaus, sondern wieder stadtauswärts auf die Umgehungsstraße. Als ich die letzten Häuser nach einigen Kilometern hinter mir gelassen hatte, passierte es. Der Motor verstummte! Hilfe! Was sollte ich nun mutterseelen allein tun? Es begann heftig zu regnen. Wie sollte ich nach Hause kommen? Zu Fuß wäre ich bestimmt eine Stunde oder mehr unterwegs gewesen. Wohnhäuser waren keine in sichtbarer Nähe, nur Landschaft rings um mich her. Sollte ich vielleicht die Nacht im Auto verbringen?
Da erblickte ich im Rückspiegel zwei kleine Lichtpunkte - die Scheinwerfer eines Autos. Das war meine Chance. Ich stieg aus, fest entschlossen das Fahrzeug anzuhalten. Der Pkw näherte sich, folgte meiner auf und ab winkenden Handbewegung, verringerte das Tempo und hielt schließlich kurz hinter meiner Ente an. Ein Mann mittleren Alters saß amSteuer und kurbelte seine Seitenscheibe herunter, als ich mich näherte. Mein Herz pochte wie wild, sprang mir fast vor Angst aus dem Hals. An wen würde ich jetzt geraten? Die wildesten und gruseligsten Fantasien blitzen auf. Hatte ich denn einen Wahl? Ich schob meine Angst beiseite, fasste mir ein Herz und sprach den Mann an. Schilderte kurz die Ursache für meine Panne und bat ihn, den Wagen anzuschieben. Er zeigte sich hilfsbereit.
Im strömenden Regen bemühte er sich, die Wildente auf der ebenen Straße in Schwung zubringen. Nach einigen hundert Metern gelang es endlich. Der Motor sprang wieder an. Ich dankte meinem tropfnassen Helfer und jeder setzte seine Fahrt fort. Nun wollte ich nur noch so schnell wie möglich heim. Im Wissen um dies chwache Batterie verzichtete ich nicht nur auf den Einsatz meiner Scheibenwischer, sondern auch noch auf mein Licht, als ich wieder die beleuchteten Straßen erreicht hatte, aber immer darauf bedacht, von anderen Verkehrsteilnehmern bloß gesehen zu werden.
Als ich endlich in meine Straße einbog, verlies mich wenige Meter vor unserem Haus zum dritten Mal meine Ente. Das war mir gleich. Mein Vater setzte dann zwar eine neue Batterie ein, was allerdings nicht mehr viel Nutzen bringen sollte, denn die grenzenlose Freiheit meiner Wildente fand nach nur zehn Monaten in meinemBesitz erbarmungslos seine Grenze in durchgerosteten Holmen, deren Reparatur eindeutig den Wert überstiegen hätte. Schade.