Ruhrgebiet. Der Bund gab die rund 87.000 Sirenen nach Ende des Kalten Krieges an die Gemeinden ab, die ihren Unterhalt als zu teuer empfanden. Also verschwanden sie aus den großen, klammen Städten. Viele wollen sie nun wieder zurück.

Eine Sirene auf dem Dach der Feuerwache Hattingen. (Foto: WAZ, Dirk Bauer)
Eine Sirene auf dem Dach der Feuerwache Hattingen. (Foto: WAZ, Dirk Bauer) © WAZ

Ende Februar erreichte den Duisburger Rat eine Beschlussvorlage, die vorsah, dass „zur Warnung der Bevölkerung bei Gefahrenlagen . . . ein flächendeckendes Sirenensystem aufgebaut” wird; Ende Februar 2008, versteht sich, und nicht etwa 1930. Denn rund 15 Jahre, nachdem in der Bundesrepublik die meisten Sirenen entschlossen abgebaut wurden, werden sie jetzt an vielen Orten wieder aufgebaut. Nach Jahren voller technischer Experimente hat sich nämlich gezeigt: Es gibt kein anderes System, mit dem man alle sofort aus den Betten schmeißen kann, als die Sirene, die alte Heulboje. Geschichte ist echt Fortschritt.

Damals galten sie als überflüssig

Damals, nach dem Ende des Kalten Krieges, galten sie als überflüssig. Der Bund gab die rund 87.000 Sirenen an die Gemeinden ab, die ihren Unterhalt allgemein als zu teuer empfanden. Vor allem verschwanden sie aus den großen, klammen Städten: Eine Grafik der Landesregierung, die sie nicht veröffentlichen möchte („Wir möchten niemanden bloßstellen”), zeigt vor allem das Ruhrgebiet als Schwarzes Loch der Sirenen – alle drin verschwunden. In den Landkreisen hingegen blieben sie oft aus praktischen Gründen erhalten: um die freiwilligen Feuerwehrleute zu alarmieren, wenn's brennt.

Was tun bei einer Chemiekatastrophe

Nun hat sich die Sicht der Dinge auch im Ruhrgebiet wieder gedreht: Was tun bei einem großen Terroranschlag, einer Atom- oder Chemiekatastrophe? „Wir hätten gerne wieder ein flächendeckendes Warnsystem”, sagt Volker Wiebels, der Sprecher der Stadt Mülheim; und Thomas Weijers, Rettungsdienstleiter bei der Johanniterunfallhilfe Emscher-Lippe, sagt: „Bei Katastrophen wie den Hochwasserunglücken oder dem Schneechaos im Münsterland oder beim Orkan Kyrill mussten Einsatzkräfte und Bevölkerung die Erfahrung machen, dass moderne Kommunikationstechnik flächendeckend nicht einsatzfähig war.”

Das System Satwas - was fürs Radio

Das Problem ist: Der Bund steht auf dem Standpunkt, eine „Wiedereinrichtung ist nicht vorgesehen”. Er hat beim „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)” in Bonn das System „Satwas” aufgebaut, das „Satellitengestützte Warnsystem”. Damit können Zeitungen, Fernsehsender, Radiosender und online-Dienste in wenigen Minuten informiert werden, falls Menschen sich im Keller einschließen oder einen Landstrich besser verlassen sollten. „Im Falle einer bedrohlichen Lageentwicklung und bei sensibilisierter Bevölkerung ist diese über die Medien sehr gut zu erreichen”, heißt es beim BBK.

Nur: Wann weiß die Bevölkerung überhaupt, dass sie in die Medien gucken soll? Eben. Das BBK: „Für aus heiterem Himmel auftretende Ereignisse (fehlt) ein Warnmittel mit Weck-Effekt.” Experimentiert wurde über Jahre unter anderm mit Funkuhren und mit Radios. Dass sie technisch in der Lage sind, einen Alarmton anzuschlagen, steht außer Frage. Nur: Nicht jeder hat eine Funkuhr, und manche Menschen machen das Radio sogar auch mal aus. Gleiches gilt für Rauchmelder: Auch sie könnten als Zusatzfunktion einen allgemeinen Katastrophenalarm anstimmen.

Die Angst davor, den Alarmton falsch zu interpretieren

Aber auch Rauchmelder hat nicht jeder, und bei ihnen gibt es noch ein kurioses und im Zweifelsfall lebensgefährliches Subproblem: In der „Zeit” malt ein Hamburger Katastrophenschützer aus, dass „die Bürger den Alarmton verwechseln könnten und aus Angst vor einem Feuer nach draußen rennen – wo gerade die Sturmflut über die Deiche schwappt”. Das Land NRW untersucht derzeit, wo es überhaupt noch wie viele funktionsfähige Sirenen gibt: „Wo ist Bedarf? Wo sind weiße Flecken?”, sagt Anette Henneböhle. Es gebe aber „keine konkreten Überlegungen, dass das Land zahlt”.

Und so bauen einige Städte nun das Sirenensystem auf eigene Faust wieder auf: Duisburg für eine Million Euro, wobei Firmen die Hälfte zahlen; Düsseldorf für 1,4 Millionen. „Die sind schon teuer”, sagt der dortige Feuerwehr-Sprecher Heinz Engels. Aber „ein Radio muss ja erstmal jemand anmachen. Die Sirenen jagen auf Knopfdruck sofort los.”

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