Ruhrgebiet. Aus Sorge um die Sicherheit machen sich Eltern zu Chauffeuren ihrer Kinder. Besser gemeint als gemacht, sagen Experten: Denn so wird der Verkehr immer mehr, und die Kleinen lernen ihn nicht kennen.

Um kurz vor acht ist die verkehrsberuhigte eine Krachmacherstraße, wer jetzt noch schläft, braucht keinen Wecker mehr: Stau in der 30-Zone, die Eltern fahren ihre Kinder zur Schule. Die Fahrbahn wird zum Taxistand.

Geländewagen parken vor dem Gebäude, Kleinwagen schieben ihre Nasen bis in die Einfahrt, Familienkutschen halten in zweiter und dritter Reihe. Mit flotten fünfzig fliegen Mütter über Schwellen, für die sie selbst gekämpft haben. Motoren laufen und Erwachsene mit bis zum Tor. „Sie parken, rangieren, fahren rückwärts, kreuz und quer durcheinander”, sagt Oberkommissar Klaus Hollmann, „eine völlig unnötige Gefahr.”

„Ein wunder Punkt”

Der Bezirksbeamte aus dem Dortmunder Südosten beobachtet seit Jahren, was auch die Verkehrswacht sieht und jeder Automobilclub: „Immer mehr Eltern fahren ihre Kinder morgens zur Schule.” Und nachmittags zum Musikunterricht, zum Sport, zu Freunden. . . „Kennt ihr das auch?”, fragt der Verkehrsclub Deutschland, der im September eine Aktion startet, „Zu Fuß zur Schule”: dass die Eltern fahren und Kinder kaum noch Kinder treffen vor der Tür? „Taxi Mama”, heißt das Phänomen, und sei es auch zuweilen „Taxi Papa”: Nicht nur für die Verkehrswacht ist es „ein wunder Punkt”.

Zu Fuß zur Schule

Verkehrserziehung hat längst ihren festen Platz im Lehrplan der Grundschulen. Die Polizei übt mit den Kindern. Jedes Jahr am 22. September ist weltweiter „Zu-Fuß-zur-Schule-Tag”. Der Verkehrsclub Deutschland und das Deutsche Kinderhilfswerk richten dazu eine Aktionswoche aus. Infos: www.zu-fuss-zur-schule.de. Zum Start des neuen Schuljahrs hat Emi Music zusammen mit der Verkehrsaufsicht e.V. die CD „Schulweg-Hits” aufgelegt. Sie enthält 13 moderne Kinderlieder, die sich mit dem Thema Verkehrserziehung beschäftigen, darunter „So viele Schilder”, „Helle Kleidung sieht man besser” und „Das Lied vom Zebrastreifen” (8,95 Euro). Unter www.verkehrssicherheit.nrw.de hat das Landesministerium für Bauen und Verkehr (MBV) Tipps und Informationen zusammengestellt. Für Politik und Kommunen hält das MBV eine Broschüre „Orientierungshilfen für die Schulwegsicherung” bereit, zu bestellen unter Tel. 0180 - 3100 110.

Denn deren Sprecherin Hannelore Herlan weiß ja wohl: „Die Eltern meinen es gut. Sie wollen, dass ihr Kind sicher zur Schule kommt.” Doch birgt auch der Transport Gefahren. Wo alle gleichzeitig an gleicher Stelle Kinder ausladen, müssen sich die Schüler durch einen Wagenpark schlängeln – die Eltern werden zum Verkehrshindernis und damit zu einer neuen Gefahr. „Viele unterschätzen das”, weiß Herlan, schlimmer noch: „Die meisten achten nur auf das Kind, das sie gerade transportieren.” Das eigene.

Polizist Hollmann schrieb im letzten Jahr einen „Problemzettel”, er hat auch die Eltern informiert und den Hausmeister an seiner Seite, wenn er morgens vor der Grundschule steht. Deren Leitung bat, wie inzwischen viele Schulen in Deutschland, die Eltern schriftlich, das Schulgelände nicht zu befahren, sowieso ist hier Halteverbot. Doch: „Ruck-zuck ist alles voll”, sagt der Beamte, „die Leute zeigen keine Einsicht.” Dabei hat Hollmann ihnen erzählt von der „extremen Gefahrensituation”, hat erklärt, dass Kinder Selbstständigkeit im Straßenverkehr nicht lernen können, wenn Papa und Mama sie „ständig an der Hand haben”. Als Antwort aber hört er „zu dunkel, zu nass, zu warm, zu kalt”, und die Tonne ist so schwer. Vor allem aber immer wieder dies: „Weil doch so viel passiert.”

Wenn der Familien-Fahrdienst mal streikt

Es gibt Eltern, die fahren deshalb 250 Meter bis zur Kindertagesstätte. Eine Untersuchung des Kinderbarometers Hessen ergab, dass nur 15 Prozent der Kinder dort wirklich auf das elterliche Auto angewiesen sind; mehr als die Hälfte gab in der Befragung zu, die Ziele auch zu Fuß oder mit dem Rad erreichen zu können. Das aber mögen viele nicht mehr, die ihr Taxi Mama gewohnt sind: Musiklehrer und Sporttrainer berichten, dass ihre Schützlinge schlicht nicht erscheinen, wenn der Familien-Fahrdienst mal streikt.

Dabei seien schon Grundschulkinder, sagt auch die Verkehrswacht, „in der Lage, selbst zu gehen”. Man müsse es ihnen nur zeigen. „Fahren die Eltern die Kinder”, schreibt der Automobilclub von Deutschland (AvD) unter der Überschrift „Zur Schule im Auto. Gefährlicher als man denkt”, „mangelt es dem Nachwuchs häufig an der nötigen Praxis als Fußgänger.” Auch Lehrerkollegien appellieren: „Kinder gewinnen im Straßenverkehr nur dann Sicherheit, wenn sie ihn als wirklich aktive Verkehrsteilnehmer erleben.” Wer aber immer hinten sitzt, dem fehlen die nötigen Erfahrungen.

„Ein ungeheurer Freiheitsgewinn”

Zu Fuß und mit Freunden gehen zu dürfen, glaubt Verkehrswacht-Sprecherin Hannelore Herlan, sei zudem schon für die Kleinen „ein ungeheurer Freiheitsgewinn”. Auch an Bewegungsfreiheit: „Kinder, die sich viel bewegen, können sich besser konzentrieren”, steht im Konzept zum Projekt „Zu Fuß zur Schule”. Und dass es „spannend” sei, „das eigene Umfeld der Wohnung alleine oder mit Freunden zu erkunden”.

Was tun also gegen die Angst der Eltern und ihre Bequemlichkeit? „Wir brauchen eine neue Schulwegkultur”, fordert die Verkehrswacht. „Die Eltern müssen sich bewusst machen, dass ihre Kinder das können.”

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