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Die Union wird angesichts sinkender Umfragewerte nervös. Die Kritik an Kanzlerin Angela Merkel aus den eigenen Reihen nimmt zu. Der Bonner Politikprofessor Gerd Langguth ist Merkel-Biograph und beantwortet Fragen zur aktuellen Situation in der CDU/CSU.
Die Angriffe auf Angela Merkel aus den eigenen Reihen kommen geballter. Was führt zu dieser Kritik, ist es die Führungsschwäche der Kanzlerin?
Langguth: Die Meinungsumfragen haben sich verändert, nur noch zwischen 32 und 37 Prozent für die Union, je nach Institut. Das führt in einer Partei, die stark führungsorientiert arbeitet, zu Nervosität. Erheblich für Unruhe sorgt, dass die FDP im Moment der CDU so viele Stimmen wegzunehmen scheint.
Hat sich die Kanzlerin dadurch nicht verändert, ist sie nicht dünnhäutiger und angreifbarer geworden?
Langguth: Sicher, die Kanzlerin ist dünnhäutiger geworden. Aber ihr Politikstil hat sich nicht geändert. Sie ist halt in einer schwierigen Lage, sie muss die Große Koalition zusammenhalten. Das führt zu Verlust an christdemokratischem Profil, weil Merkel selber ja nur eine gelernte Christdemokratin ist. Sie kam erst als 35–Jährige in die Politik und verfügt nicht über die christdemokratischen Wurzeln wie ihre innerparteilichen Kritiker. Sie will die Koalition aber unter allen Umständen bis zu Ende führen. Wer die Regierung auseinanderplatzen lässt, der würde von den Wählern bestraft. Das dürfte Merkels Kalkül sein.
Andererseits, wäre ein rechtzeitiger Ausstieg angesichts der Lähmungserscheinungen der Großen Koalition nicht ein Befreiungsschlag?
Langguth: Es gibt keine Alternative. Man darf nicht vergessen, dass wir im Bundestag eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und Linke haben. Insofern sind die aktuellen Umfragen, die eine schwarz-gelbe Mehrheit bedeuten, ja durchaus bemerkenswert.
Haben Merkel-Kritiker nicht Recht, wenn sie die Kanzlerin als zu zögerlich beschreiben, zum Beispiel bei der Bewältigung der Finanzkrise?
Langguth: Merkel ist keine Ideologin, deshalb kann sie viel pragmatischer agieren. So kann sie – was ihr auch einige übel nehmen – noch im Dezember im Einklang mit Finanzminister Peer Steinbrück gegen ein Konjunkturprogramm sein, und vier Wochen später kommen die größten Konjunkturprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik. Das erstaunt viele Wähler, liegt aber an der Tatsache, dass die Kanzlerin nicht ideologisch daran festhält, was sie als falsch erkennt.
Welche Taktik verfolgen die Merkel-Kritiker, vor allem aus den Reihen der Schwesterpartei CSU?
Langguth: Das erinnert an die alten Auseinandersetzungen Strauß-Kohl. Da entpuppt sich Seehofer als gelehriger Schüler von Strauß. Denn in der Vergangenheit hat sich die Tatsache, dass es zwei C-Parteien gibt, durchaus positiv ausgewirkt. Denn der CSU-Sympathisant in Recklinghausen oder in Kiel und Berlin hat manches Mal deswegen die CDU gewählt hat, weil er wusste, dass CDU und CSU in einer Fraktionsgemeinschaft miteinander verbunden sind. Getrennte Parteien, aber gemeinsamer Auftritt im Bundestag, das hat sich in der Vergangenheit als strategisch wirkungsvoll erwiesen. Daran will Seehofer anknüpfen, zumal er unter gewaltigem Druck steht. Denn es ist keineswegs sicher, dass die CSU bei der Europawahl die Fünf-Prozenthürde überwindet.
Sind es nicht immer wieder die Gleichen, die sich aus der Deckung wagen, wie CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer und NRW-CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst?
Langguth: Sicher, da gibt es gewisse Automatismen. Ramsauer muss jetzt den Schulterschluss zu Seehofer demonstrieren, auch wenn das Verhältnis Ramsauer-Seehofer nicht das beste ist. Wüst muss das hohe Lied des Arbeiterführers Rüttgers singen. Das sind Selbstlobekampagnen in der Furcht, dass der Abwärtstrend der CDU nicht gestoppt wird. Es gibt im bürgerlichen Lager in der Tat einen erheblichen Unmut, gegen den Merkel bislang keine Strategie entwickeln konnte.
Was wird diese Unzufriedenheit verändern? Gibt es nach den Bundestagswahlen eine schwarz-gelbe Koalition?
Langguth: Nach allen Erfahrungen haben die Sozialdemokraten in den letzten Tagen vor der Wahl immer noch aufgeholt. Ob es für Schwarz-Gelb reicht, halte ich für sehr zweifelhaft. Die einzige Prognose, die ich heute wage, heißt: Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Denn Krisenzeiten sind Kanzlerzeiten.