Kairo. „Ich möchte keine Rache”, sagt sie. „Ich will nur, dass alle wissen, dass man so etwas keiner Frau antun darf.” Seit über vier Jahren ist Ameneh Bahrami blind, 17 Operationen hat sie hinter sich. Ihr Gesicht ist grausam entstellt, ihr Körper übersät mit Narben.

Am 3. November 2004 übergoss ein junger Mann die heute 31-jährige Iranerin in einem Teheraner Stadtpark mit Schwefelsäure. Sein Motiv: Verschmähte Liebe. Er hatte sie heiraten wollen, sie wollte nichts von ihm wissen.

Rechtskräftiges Urteil

Zwei Wochen später stellte sich Majid Movahedi der Polizei. „Auge um Auge”: So entschied im letzten Jahr ein Gericht auf Antrag der schwer verletzten jungen Frau. Mittlerweile ist das Urteil rechtskräftig, aber noch nicht vollstreckt. Dem Täter sollen in den nächsten Wochen mit jeweils zehn Tropfen Schwefelsäure seine beiden Augen verätzt werden. Danach wird er ebenso blind sein wie sein Opfer.

Möglich wird diese grausame Körperstrafe durch die vom Islam aus dem altarabischen Stammesrecht übernommene Praxis der Blutrache, Qissas genannt, was wörtlich Vergeltung oder Züchtigung heißt. 1982 wurde sie ins iranische Strafrecht übernommen. Danach darf eine vorsätzliche Körperverletzung oder ein Mord gerächt werden durch eine gleichartige Verwundung beziehungsweise durch die Tötung des Täters. Als Sühne können das Opfer oder dessen Angehörige jedoch auch ein angemessenes Blutgeld akzeptieren.

Das aber lehnt Ameneh Bahrami ab. Vor dem Verbrechen war sie eine lebenslustige junge Frau, die gerne in den Bergen wanderte und fotografierte. Nach dem Studium hatte sie schnell Arbeit gefunden in einer Firma für Medizingeräte.

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Ameneh Bahrami mit Fotos, die sie vor ihrer Erblindung zeigen. (Foto: afp)
Ameneh Bahrami mit Fotos, die sie vor ihrer Erblindung zeigen. (Foto: afp) © AFP

Ihren späteren Peiniger hatte sie erstmals 2002 an der Teheraner Universität getroffen. Ein Jahr später hielten die Eltern des jungen Mannes offiziell um die Hand der damaligen Informatikstudentin an. „Meine Mutter und mein Vater lehnten höflich ab”, berichtete sie. Doch ihr Verehrer ließ nicht locker, stellte ihr nach und passte sie nach der Arbeit am Firmentor ab. Einmal droht er ihr weinend, er werde sich umbringen, wenn sie ihn nicht heirate.

Bahrami meldete das Stalking der Polizei. Auf der Wache hieß es, man könne erst etwas tun, wenn der Mann eine Straftat begehe. Bahrami beschloss daraufhin, den lästigen Verehrer auf eigene Faust abzuschütteln: „Ich werde demnächst heiraten, lass' mich in Ruhe und konzentriere dich auf dein eigenes Leben”, konfrontierte sie ihn. Der heute 25-jährige rannte davon, drei Tage später folgte die schreckliche Attacke.

"Sie wollte nur eins: Wieder sehen können"

Nach mehreren Operationen in Teheran wurde Ameneh Bahrami in eine Spezialklinik nach Barcelona verlegt. Die Kosten übernahm der damalige iranische Präsident Mohammed Chatami. „Sie war eine erstaunliche Patientin”, erinnern sich die Spezialisten. „Sie kam aus einem fremden Land, blind, verstand kein Wort Spanisch. Sie wollte nur eins: Wieder sehen können.” Zunächst gelang es den Chirurgen, ihr auf einem Auge vierzig Prozent ihrer Sehfähigkeit wieder herzustellen. Eine nachfolgende Entzündung jedoch machte alles zunichte.

Zurück in Teheran bedrängte sogar Ayatollah Mahmoud Shahroudi, der Chef der iranischen Justiz, die junge Frau, in dem Strafprozess auf die Blutrache zu verzichten. Er wollte dem Iran negative Schlagzeilen ersparen. Ohne Erfolg. „Ich habe dem Richter gesagt, ich will Auge um Auge. Der das getan hat, soll denselben Schmerz erleiden wie ich”, entschied Ameneh Bahrami.

Auch die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi versuchte, Ameneh Bahrami umzustimmen. Vergebens. „Sie sollte sich nicht zu sehr kümmern”, wies die für ihr Leben Gezeichnete das Anliegen der prominenten Menschenrechtlerin zurück. „Er wird betäubt und keine Schmerzen haben. Sein Gesicht wird nicht entstellt. Und er wird nicht die solche seelischen Qualen durchmachen müssen wie ich.”

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