Wie setzt man ein Meisterwerk der Comic-Literatur in einen Film um? Am besten Bild für Bild. In „Watchmen” hält sich Regisseur Zack Snyder sklavisch an die Vorlage – und macht fast alles richtig
Essen. Ein Fenster splittert. Ein Mann fällt. Ein Traum zerbricht. Aus den Überresten, die vom Pflaster gekratzt werden, grinst ein gelbes Gesicht, ein Smiley, befleckt von einem Tropfen Blut.
Das Superhelden-Genre hat seine Unschuld verloren, und nicht erst, seit uns der Joker in „The Dark Knight” in irrer Boshaftigkeit entgegen lachte. Es fing viel früher an, 1986, mit den „Watchmen”, einer tiefgreifenden Graphic Novel aus der Feder des Briten Alan Moore, die ihren Lesern ungleich mehr abverlangte als alles, was bis zu diesem Zeitpunkt erschienen war. Sie ist Verschwörungsstory, Atom-Thriller und Zerrspiegel des 20. Jahrhunderts. Sie trägt den Mythos des Superhelden zu Grabe und spielt ein Requiem für den Traum von der amerikanischen Überlegenheit.
Mehr als 20 Jahre balgte man in Hollywood um die Verfilmung der „Watchmen”, bis nun Regisseur Zack Snyder („300”) den Zuschlag erhielt. Das Warten hat sich gelohnt, denn seine Adaption überwältigt visuell und bemüht sich doch, die Geschichte in ihrer philosophischen Komplexität und schonungslosen Brutalität zu bewahren. Das verlangt dem Zuschauer viel ab.
Denn „Watchmen” spielt in einer parallelen Welt im Jahre 1985. Die USA haben Vietnam bezwungen, Nixon regiert, der kalte Krieg rast auf seine nukleare Entladung zu. Superhelden existieren, sind aber seit 1977 verboten. Einige sind freiwillig in Ruhestand gegangen, wie Nite Owl (Patrick Wilson), Silk Spectre (Malin Akerman) und Ozymandias (Matthew Goode). Andere arbeiten für die Regierung wie der Comedian (Jeffrey Dean Morgan) und Dr. Manhattan (Billy Cudrup). Nur einer ermittelt trotz des Verbots: Rorschach (Jackie Earle Haley), ein verkommener Vigilant ohne einen Funken Gnade. Als er den oben erwähnten Todesfall untersucht, entdeckt er, dass das Opfer durchs Fenster geworfen wurde – und dass es sich beim Smiley-Träger um seinen ehemaligen Weggefährten Comedian handelt.
Rorschach wittert eine Verschwörung, deren Ziel die Superhelden sind, die sich einst „Watchmen” nannten. Als er seine alten Mitstreiter warnt, stößt er auf Pläne, die das Ende der Welt bedeuten könnten.
Als Comic werden die „Watchmen” abgöttisch verehrt, so dass jeder Versuch einer Verfilmung wie ein Sakrileg erscheinen muss. Das war Zack Snyder allzu bewusst, deshalb erzählt er über weite Strecken Bild für Bild den Comic nach und leistet sich nur wenige Ausreißer. Das führt dazu, dass der Zuschauer sich zurechtfinden muss in einer Geschichte, die zunächst nur wenig vorankommt – wegen der vielen Rückblenden, die die Charaktere zeichnen und den Boden für ein Finale bereiten, das zum inhaltsschweren Bilderrausch gerät.
Keine der Figuren in „Watchmen” bleibt ungebrochen: Der Gerechtigkeitsfanatiker Rorschach bringt die Bösewichter lieber sofort um, statt sie vor Gericht zu stellen. Andere vergewaltigen und töten, sind resigniert oder tragen ihre Vergangenheit in Form von Actionfiguren zu Markte. Und jener bläulich schimmernde, beinahe allmächtige Dr. Manhattan („Der Übermensch existiert! Und er ist Amerikaner!”) verliert dank seiner Omnipotenz das Interesse an der Menschheit, die er doch vor dem atomaren Tod bewahren könnte. Während die Geschichte die üble Ironie bereithält, dass der Schurke eigentlich nur die Welt retten will.
Nach zweieinhalb Stunden lacht uns glühend ein Smiley-Gesicht aus einem Krater am Fuße der New Yorker Twin Towers entgegen – eine der wenigen Freiheiten, die Zack Snyder sich nimmt. Wir bleiben ratlos, ob dies nun die Apokalypse war oder ein Happy End in einer Comic-Verfilmung, die noch immer hinter der Vorlage herhinkt, aber kaum besser hätte gedreht werden können.
Der Magier der Comicwelt
Autor Alan Moore schuf die „Watchmen”
Der Vater der „Watchmen”, Alan Moore, ist der größte Impulsgeber der Comicbranche, obwohl er unabhängig von der Industrie nur seine eigenen ambitionierten Projekte realisiert. 1953 in Northampton geboren und bis heute dort lebend, ersann er Stoffe, um die sich Hollywood reißt. Dazu zählt die bluttriefende Ripper-Geschichte „From Hell”, das revolutionäre „V wie Vendetta” und „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen”. Aus seinem Batman-Comic „The Killing Joke” wurden Ideen für den Film „The Dark Knight” verwendet. Er selbst will mit keiner der Verfilmungen etwas zu tun haben. „Ich mache nur Comics”, sagt er. Deshalb hat er sich keinen der Streifen angesehen und lässt seinen Namen von Plakaten streichen.
Moore, der Inspiration in magischen Ritualen findet, schreibt zurzeit an einem großen Roman. Gerade erschien die Neuauflage der „Watchmen” bei Panini (436 S., 29,95 €) und ein Hardcover von „From Hell” bei Cross Cult (600 S., 49,80 €).