Essen/Moskau. Der ehemalige Chef des Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkwoski, steht ab Dienstag wieder in Moskau vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft droht mit 30 Jahren Haft. Die Verteidigung dagege nennt Vorwürfe absurd. Die Öffentlichkeit zweifelt ebenfalls am Wahrheitsgehalt der Anklagepunkte.

Am Dienstag begann in Moskau der 2. Strafprozess gegen Michail Chodorkowskij, den Exchef von Jukos, dem einst größten Ölkonzern Russlands und seinen früheren Kompagnon Platon Lebedjew. Seit 2005 sitzen beide eine achtjährige Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung und Unterschlagung ab.

Vorwürfe: Diebstahl und Geldwäsche

Jetzt drohen ihnen wegen räuberischer Unterschlagung und Geldwäsche im besonders großen Maßstab bis zu 30 Jahren Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, sie hätten Jukos-Tochterfirmen Öl im Wert von 25 Milliarden Dollar gestohlen und 7,5 Milliarden Dollar durch Geldwäsche legalisiert. Die Verteidigung nennt die Anklage „einfach absurd“.

Und Fachleute wie Expremier Jegor Gaidar oder der frühere stellvertretende Energieminister verweisen darauf, dass die Verrechnungsmethoden, die den Jukos-Managern heute als Verbrechen ausgelegt wurden, zur „Tatzeit“ in der gesamten russischen Rohstoffbranche üblich waren oder noch immer sind. „Chodorkowskij und Lebedjew werden für etwas vor Gericht gestellt, das man zum Beispiel Gasprom mit einem Sondergesetz gestattet“, erklärt Wladimir Milow gegenüber der Moskauer Wochenzeitung „New Times.“

Chodorkowskij wollte nicht ins Exil

Auch Russlands Öffentlichkeit zweifelt an den neuen Vorwürfen gegen Chodorkowskij. Bei einer Umfrage des Levada-Meinungsforschungszentrum im Februar glaubten 40% der Befragten, die Staatsmacht setze die Ermittlungsorgane in diesem Fall unter Druck, nur 22% nahmen an, diese agierten aus eigener Initiative.

Michail Chodorkowski auf dem Weg aus dem Gericht. Foto: ap
Michail Chodorkowski auf dem Weg aus dem Gericht. Foto: ap © AP

Mitleid mit dem Exoligarchen allerdings empfinden nur 18%. „Chodorkowskij hätte seinen Konzern auch abgegeben, wenn er gewusst hätte, was auf ihn zukommt“, sagt Igor Simonow, der Autor des Theaterstückes „Die Himmlischen“. In dem Schauspiel, das im Moskauer Theater „Praktika“ läuft, wird der Chef des größten russischen Ölkonzerns von einem Kremlbeamten aufgefordert, auf sein Unternehmen zu verzichten, und ins Ausland zu verschwinden. Andererseits gehe es ihm wegen Steuerhinterziehung an den Kragen.

So wie seinerzeit Michail Chodorkowskij. Er hat wiederholt erklärt, man habe ihm nahegelegt zu exilieren, bevor er 2003 verhaftet wurde. Chodorkowskij lehnte ab, beschwerte sich sogar bei Wladimir Putin persönlich über die wuchernde Korruption und landete als Sträfling im ostsibirischen Krasnokamensk.

Seitdem gilt der bis 2003 reichste Mann Russlands als Symbolfigur für die rechtliche Willkür der Putinära. „Russland Image wird in Krasnokamensk gemacht“, bemerkte der Oppositionelle Boris Nemzow damals.

Politisch motiviertes Strafverfahren

Auch jetzt glauben viele Beobachter, das neue Strafverfahren gegen Chodorkowskij und Lebedjew sei politisch motiviert. „Dahinter verbirgt sich das Bestreben, zu demonstrieren, dass Chodorkowskij noch lange Jahre hinter Gittern sitzen wird“, sagt die Politologin Mascha Lipman gegenüber der Tageszeitung Moskau Times.

Die Öffentlichkeit war am ersten Prozesstag ausgeschlossen. Dafür machten just an diesem Tag zwei ehemalige Jukos-Tochterfirmen, „Tomskneft“ und „Samarneftegas“ gegenüber Chodorkowskij und Lebedew Schadensersatzansprüche von insgesamt 170 Milliarden Rubel (umgerechnet über 3,7 Millarden Euro) geltend. Was die Vermutung nahe legt, dass beide Firmen nicht aus eigenem Antrieb handelten, sondern unter Druck der Staatsorgane.

Es spricht einiges dafür, dass Chodorkowskij und Lebedjew auch in diesem Prozess wenig Chancen haben werden. So lehnte das Gericht den Antrag der Verteidigung ab, die beiden Staatsanwälte Dmitrij Schochin und Walerij Lachtin nicht zuzulassen. Sie hatten schon im ersten Prozess Publikum und Presse wiederholt durch krasse Verfahrensfehler in Erstaunen gesetzt. Außerdem beschwerten sich die Rechtsanwälte, Milizionäre hätten sie im Gerichtssaal immer wieder von Chodorkowskij abgedrängt, und so den freien Zugang der Verteidiger zu ihren Klienten verhindert.

Allerdings steht bei diesem Prozess außer der Freiheit der Angeklagten auch das Ansehen von Präsident Dmitrij Medwedjew auf dem Spiel. Das russische Staatsoberhaupt lehrte früher in Petersburg römisches Recht und rief in seinem gerade endenden ersten Amtsjahr wiederholt dazu auf, mit dem „juristischen Nihilismus im Land“ ein Ende zu machen.

„Und es gibt einige Anzeichen, dass man im Kreml die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in Strassburg durchaus ernst nimmt, den ersten Jukos-Fall noch einmal aufzurollen“, kommentiert der Radiosender Echo Moskwy. „So die Tatsache, dass der Prozess in Moskau und nicht im fernen Tschita stattfindet. Und dass das Gericht die fragwürdige Klage des Mithäftlings ablehnte, der Chodorkowskij sexuelle Nötigung anhängen wollte.“

Der permanente Angeklagte aber, Michail Chodorkowskij, spielt inzwischen seine Rolle offenbar mit Humor: „Ich garantiere ihnen ein interessantes Schauspiel“ versprach er der Presse vor dem Prozess.

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