Essen. Darf man Nachdrucke von Nazizeitungen am Kiosk verkaufen? Nein, sagte der Freistaat Bayern und ließ die Veröffentlichung stoppen. Der Historiker Michael Wolffsohn verurteilt das Projekt "Zeitungszeugen" in Bausch und Bogen. Die Diskussion geht weiter.
Um den Nachdruck von Zeitungen aus der Nazizeit ist ein politischer Stellungskrieg entbrannt. Das Projekt heißt "Zeitungszeugen", eine wöchentlich erscheinende Edition über "Die Presse in der Zeit des Nationalsozialismus", für 3,90 € zu haben. Bisher. Nach sechs Nummern war vorläufig Schluss, da Bayern, vertreten durch sein Finanzministerium, die Weiterverbreitung gerichtlich anfocht. Der Freistaat hat bis 2015 die Urheberrechte auf Dokumente aus der Nazizeit, Hitlers "Mein Kampf" eingeschlossen.
Nun liegt das Projekt des englischen Verlegers Peter McGee auf Eis, außergerichtliche Verhandlungen sind vorgesehen, Ende offen. Der Freistaat fürchtet, so lautet zumindest die offizielle Version, dass das historische Material in die falschen Hände gerät, sprich: dass Neonazis sich für die historische Fleißarbeit interessieren könnten.
Entrüstung bei den Fürsorglichen
Die Originalnachdrucke von Zeitungen wie dem "Völkischen Beobachter" lagen lose in einem Cover mit fundierten Erklärungen und Hinweisen. Was in der Ecke der Fürsorglichen für Entrüstung sorgte. Die Gefahr des Missbrauchs liege auf der Hand, meinte der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, CSU-Landtagsparlamentarier Karl Freller. "Man kann nicht vor Falschgeld warnen, indem man Falschgeld verteilt".
Schützenhilfe erhielt Freller von Michael Wolffsohn, Historiker an der Universität der Bundeswehr. Bei einem Streitgespräch, das die Grünen am Donnerstag in München veranstaltet hatten, verurteilte Wolffsohn das Projekt in Bausch und Bogen: "Ein rechtssystemischer Dammbruch". Sprich: Was Historiker können, dürfen Neonazis dann auch.
Unterschied zwischen Propaganda und Aufklärung
Wolffsohns Kollege Peter Longerich, der als Direktor des Research Centre for the Holocaust and Twentieth Century History in London das Projekt begleitete, reagierte kopfschüttelnd: "Unsinn". Der Gesetzgeber unterscheide klar zwischen hetzerischer Nazipropaganda und dokumentierter Aufklärung. Nur weil Wolffsohn das Projekt nicht gefalle, müsse es nicht zwangsläufig verboten werden.
Longerich, ein Gegner von Tabuisierungen zum vermeintlichen Schutz der Betrachter, erinnerte daran, dass die 29 Bände der Goebbels-Tagebücher unkommentiert zu haben seien. "Wie auch soll der Staat die Bürger vor Konfrontation mit Nazi-Propaganda schützen?"
Österreichs Lehrer benutzen es im Unterricht
In Österreich wird die Suppe offenbar längst nicht so heiß gegessen, wie sie in Bayern derzeit gekocht wird. Dort arbeiten Lehrer seit einem Jahr mit dem Projekt,sagte die Chefredakteurin von "Zeitungszeugen", Sandra Paweronschitz. Ihr sei auch nicht bekannt, dass sich Neonazis auf das Material gestürzt hätten. Sie nannte die Haltung der bayerischen Regierung "Paternalismus" und appellierte an die "Mündigkeit des Bürgers".
Im Publikum sitzende Geschichtslehrer beklagten hingegen Kürzungen im Stundenplan Geschichte und zeigten sich dem Projekt gegenüber aufgeschlossen. Diskussionsleiter Sepp Dürr von den Grünen: Die Größe des Projekts und das Ausmaß der Reaktionen zeige ein Missverhältnis. Dürr fand fraglich, ob Aufklärung auf historische Seminare beschränkt bleiben sollte.