Bagdad. Im Irak ebbt die Welle der Gewalt ab und die Menschen atmen spürbar auf. Doch noch immer sind Anschläge an der Tagesordnung, noch immer ist die Gesellschaft tief gespalten.
Aus den staubigen Straßen sind die amerikanischen Soldaten in ihren sandfarbenen Uniformen fast verschwunden. Nur an wenigen der unzähligen Straßensperren aus Beton und Stacheldraht kontrollieren GI's die Passanten, gemeinsam mit schwer bewaffneten irakischen Soldaten oder finster dreinblickenden Söldnern privater Sicherheitsdienste aus aller Herren Länder.
Der allmähliche Rückzug der Besatzer aus Bagdad folgt dem Abkommen, das dem Irak nach dem babylonischen Abenteuer George W. Bushs die Souveränität wiederbringen soll. Geht es nach Barack Obama, sollen die jetzt noch 150 000 GI's das Zweistromland binnen 16 Monaten räumen – aber das wird schon aus logistischen Gründen unmöglich sein.
"Es ist viel besser geworden"
Von einem „Sieg” der USA und ihrer Hilfstruppen spricht in Bagdad niemand. Dennoch atmen die Bewohner dieser chaotischen sieben Millionen Metropole auf: „Es ist viel besser geworden”, erzählt Said, der geschickt den gepanzerten Geländewagen durch die surreale Betonwelt in der abgeriegelten „grünen Zone” bugsiert. Mit einer für Fremde schwer verständlichen Gelassenheit erobern sich die Menschen bescheidene Freiräume im Hochsicherheitstrakt von Bagdad zurück: In einem Park tollen sich sogar wieder fröhliche Kinder.
Doch die Gefahr, Opfer eines Selbstmordanschlages auf einem der belebten Märkte oder eines Verbrechens zu werden, ist allgegenwärtig. Tag für Tag muss man derzeit mit „nur” noch vier Sprengfallen oder tödlichen Attacken rechnen, vor zwei Jahren zählte die Polizei noch mindestens 18.
"Saddam hat uns entmündigt"
Von Saddam Hussein, dessen überlebensgroßes Porträt und Statuen die Straßen säumten, ist nichts mehr zu sehen. Der gestürzte Diktator ist offiziell Tabuthema, aber in Gesprächen noch immer präsent: „Er hat uns entmündigt”, sagt verbittert ein schiitischer Iraker, „jetzt müssen wir uns selbst helfen”.
Die Iraker suchen nach sechs Jahren Krieg ihre nationale Identität. Noch ist die Gesellschaft in ihren unterschiedlichen religiösen und ethnischen Ausprägungen tief gespalten.
Nirgendwo im mittleren Osten leben so zahlreiche Gruppen zusammen wie in Bagdad: Araber, Assyrer, Turkmenen, Kurden, Schiiten, Sunniten und eine gebeutelte christliche Minderheit. Seit dem blutigen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten hausen sie in getrennten, von kilometerlangen Betonmauern unterteilten Stadtvierteln. Kein Wunder, dass die Betonpreise im Irak Weltspitze sind.
Prozess der inneren Versöhnung
Aus den Köpfen entweicht der Beton erst allmählich: „Das Volk befindet sich in einem Prozess der inneren Versöhnung”, beschreibt der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier etwas gestelzt die Lage, die er diese Woche im Irak vorfand. Nach langen Jahren des Leidens kann das anders nicht sein.
So kommt es schon einem kleinen Wunder gleich, dass die Regionalwahlen Anfang des Jahres ohne Bomben, ohne El-Kaida-Terror und Selbstmordattentate nahezu 80 Prozent der Wähler an die Urnen lockten.
Der „neue Irak”, der nun seinen Platz in der Völkergemeinschaft finden will, bleibt ein gefährdeter Staat. Die Gewalt ist spürbar auf dem Rückzug, die Menschen in Bagdad atmen auf: „Wir müssen vorsichtig bleiben”, sagt Said, „aber irgendwie spürst Du, wenn es um Dich herum gefährlich wird”.