Paris. Aus dem Revier nach Paris – Juliane Caspar hat sich „hochgefuttert”. Als neue Chefin des Guide Michelin, des einflussreichsten Restaurant-Führers der Welt, hat sie gleich mehrere Hürden gemeistert.
Fotografieren lässt sie sich nur äußerst selten und dann auch nur von hinten. Und für dieses erste Jahr im neuen Job hat sich Juliane Caspar selbst ein striktes Interview-Verbot verordnet. Die Geheimniskrämerei um ihre Person hat ihren Grund. Kein Koch soll ahnen, wer sich da im Restaurant zu Tisch setzt. Seit Anfang des Jahres steht die Bochumerin an der Spitze einer urfranzösischen Institution, die selbst Spitzenköche in barmende oder frohlockende kleine Jungs verwandeln kann. Madame Caspar, Jahrgang 1970, ist die erste Frau und überdies noch allererste Ausländerin auf dem Chefsessel der französischen Ausgabe des Guide Michelin.
Eine Deutsche, dazu noch aus der spitzen-gastronomischen Ruhrgebietsdiaspora, an der Spitze der traditionell roten Feinschmecker-Bibel – das ist schon eine Revolution im Vaterland der – nach wie vor männerdominierten Haute-Cuisine.
Wie die Jungfrau zum Kind kommt man freilich nicht an solche Jobs. Madame Caspar spricht vier Sprachen fließend, darunter selbstverständlich französisch, ist ausgebildete Hotelfachfrau und hat ihren feinen Gaumen in Spitzen-Restaurants geschult.
Als sie sich 2002 bei Michelin als Testesserin bewarb, wurde sie mit Kusshand genommen und war schon drei Jahre später – der Vorgänger ging in Rente – Chefin des deutschen und österreichischen Restaurantführers. 2007 kam noch die Schweiz dazu. Sie hat sich hochgefuttert, schrieb reichlich despektierlich die linke deutsche Kampfpresse, die im Guide Michelin ohnehin nur einen „perfiden Trick” des Reifenherstellers sieht, Fans der gehobenen Küche zu weiten Umwegen zu veranlassen, um auf diese Weise die Autoreifen schneller zu verschleißen.
Am Anfang, vor inzwischen 107 Jahren, war dies tatsächlich das Kalkül der cleveren Brüder Michelin Edouard und André. Doch längst sind die brikettdicken Michelin-Führer die unbestritten wichtigste Gastro-Fibel weltweit, mit Ausgaben in mittlerweile 23 Ländern. Zuletzt kamen noch Hongkong und Macao hinzu.
Testessen muss auch die Herrin der französischen Sterne noch immer regelmäßig, getreu der Michelin-Devise: neutral und unbestechlich.
Weil sie im ersten Jahr bei Michelin gleich fünf Kilo zunahm, joggt sie inzwischen regelmäßig. „Zwei Mal am Tag drei Gänge ist ganz gut zu bewältigen”, sagte die neue Sterne-Chefin in einem ihrer seltenen Interviews. Aber „wenn ich mal vier oder fünf Gänge esse, suche ich mir einen Tag aus, an dem ich am Abend nicht noch mal esse, damit ich nicht platze.” Freilich: Nicht immer putzt sie alle Teller leer, selbst wenn es gut schmeckt „Ich brauche keinen halben Liter Suppe, um zu wissen, ob sie gut ist”, verriet sie.
100. Ausgabe unter Hochdruck
Unter Hochdruck wird gerade die 100. Ausgabe der Pariser Schlemmer-Fibel in der Zentrale an der schicken Avenue Kleber unweit des Triumphbogens zusammengestellt. Die Gerüchte, wer auf-, wer absteigt, kursieren seit Tagen an der Seine. Das große Zähneklappern mit Blick auf den 5. März, wenn die Ausgabe 2009 in den Handel kommt, hat begonnen.
Juliane Caspar, gerade frisch bestallt, zeichnet dafür naturgemäß noch nicht verantwortlich. Das Wehklagen der degradierten Sterne-Köche, das Lob der belohnten wird ihrem Vorgänger, Mann und Franzose, in den Ohren klingen. Erst der Guide 2010 wird ihre Handschrift tragen. Dann will sie auch wieder Interviews geben, allerdings so sparsam dosiert wie Salz in der Spitzenküche.
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