Essen. Weil sie oft weniger verdienen als Fachärzte, drohen Hausärzte nun mit „Notwehrmaßnahmen”. Krankenkassen, die keine besseren Honorare gewähren, sollen "schmerzhaft" getroffen werden. Mediziner sollen sogar beim Kassenwechsel helfen.

Der Hausarzt, so will es die Politik, soll der Lotse sein im Gesundheitswesen. Er soll Patienten als erster untersuchen und verhindern, dass sie von Facharzt zu Facharzt irren und unnötige Kosten verursachen. Nur passt aus Sicht der Hausärzte zu dieser Position nicht, dass sie weniger verdienen als die meisten Fachärzte.

In bisher ungekannter Weise drohen sie den Kassen vor den Verhandlungen um neue Hausarztverträge mit „Notwehrmaßnahmen”, die Patienten und Kassen treffen würden. „Wir werden Krankenkassen, die mit uns den richtigen Weg gehen, begünstigen, und Verweigerer schmerzhaft treffen”, schreibt der Hausärzteverband Nordrhein. Die Mediziner sollen sogar beim Kassenwechsel helfen, heißt es weiter.

Dieser Machtkampf wird immer unübersichtlicher. Deshalb der Reihe nach: Die Schärfe kam mit der Honorarreform 2009. Sie bringt den Ärzten 2,7 Milliarden Euro. Allerdings stritten sich um dieses Geld die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) – mit unterschiedlichem Erfolg. Der Osten hatte Nachholbedarf, doch auch Länder wie Bayern, die ihren Ärzten schon bisher am meisten zahlten, behaupteten sich. NRW, das sich als einziges Bundesland zwei KV leistet, gehört zu den großen Verlierern, allen voran der Nordrhein, wo nach Auskunft der KV von den Milliarden fast nichts ankommt.

Hausärzte enttäuscht über neue Pauschale

Das trifft die Fachärzte, aber auch die Hausärzte sind enttäuscht über ihre neue Pauschale von 35 Euro pro Patient und Quartal. Dafür ernten sie Verständnis aus Politik und Kassen, jedoch stets mit dem Hinweis, ihr Groll müsse sich gegen ihre KV richten. Das tut er auch, aber das Geld wollen sich Hausärzte aus einem anderen Topf holen: den Hausarztverträgen. Als einzige Arztgruppe haben sie die Möglichkeit, direkt mit den Kassen zu verhandeln und einen Abschluss verlangen zu können – notfalls per Schlichter.

Das NRW-Gesundheitsministerium sieht darin eine „exklusive Möglichkeit” für den Hausarztverband und mahnt, verantwortungsvoll damit umzugehen. Für die Kassen ist dies eine absurde Situation. Mit Hausarztverträgen sollten sie eigentlich Geld sparen, indem unnötige und doppelte Untersuchungen vermieden werden. Doch das Gegenteil trat ein: Weil die Verpflichtung der Patienten, immer zuerst zum Hausarzt zu gehen, freiwillig ist, mussten die Kassen den Versicherten etwas anbieten und befreiten sie von der Praxisgebühr.

Bayrische Ärzte erhalten mehr

Auch die Ärzte erhalten für jeden teilnehmenden Patienten Geld. Weil aber die Einsparungen ausblieben, wurde das Modell zum Minusgeschäft, so dass viele Kassen die Verträge kündigten. Der Gesetzgeber verlangt aber von jeder Kasse, bis Mitte 2009 ein Hausarztmodell anzubieten. Deshalb müssen sie jetzt neu verhandeln. Wie man die neue Verhandlungsmacht nutzt, haben die bayrischen Hausärzte vorgemacht. Im Vertrag mit der AOK Bayern haben sie nach eigenen Angaben ihre Honorare verdoppelt.

Die Funktionäre am Nordrhein wollen es nachmachen und drohen damit, Patienten je nach Kassenzugehörigkeit unterschiedlich zu behandeln. „Es kann nicht sein, dass mehr Geld durch eine ungerechte Verteilung zu weniger Versorgung der Patienten führt”, sagt Barmer-Sprecherin Susanne Urig. Die Landesregierung mahnt, die Patienten nicht zu instrumentalisieren.

Der größte Trumpf der Ärzte ist noch ein anderer: die Einstufung ihrer Patienten in Krankheitsbilder. Über diese „Codierung” erhalten die Kassen aus dem Gesundheitsfonds zusätzliches Geld für schwer und chronisch Kranke. Die Hausärzte drohen mit Minimal-Codierungen. Was das bedeuten kann, zeigt ein Beispiel: Für einen Patienten mit einer Niereninsuffizienz erhält die Kasse rund 2400 Euro aus dem Gesundheitsfonds. Ist dies auch ein Dialysepatient, erhielte die Kasse knapp 50 000 Euro – aber nur, wenn dies explizit genannt wird.

Verhandlungen starten heute

Doch „weitergehende Diagnose-Codierungen”, drohen die Hausärzte, würden nur „bei Abschluss ausreichend honorierter Verträge” erstellt. Das wird der Hausarztverband bei den heute beginnenden Verhandlungen mit den Ersatzkassen über einen neuen Vertrag unterstreichen. Die Kassen wollen Geld sparen, die Ärzte einen Nachschlag: Keine gute Ausgangsposition für eine schnelle Einigung.

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