Dortmund. Carl Djerassi ist Chemiker – doch die Technische Universität Dortmund ehrte ihn für sein literarisches Werk, das sich in der zweiten Lebenshälfte entfaltete.

„Ich möchte Ihnen von meiner Frau schöne Grüße und recht herzlichen Dank bestellen” – Sätze wie diesen hört Carl Djerassi wohl öfter. Er ist nämlich der Erfinder der Anti-Baby-Pille.

„Das ist gut”, sagt er. „Oft bedanken sich auch Männer bei mir, aber die Pille ist nicht für Männer erfunden worden.” Die Pille – das hat Freiheit für Frauen bedeutet, sagt Djerassi noch.

Will nicht mehr über die Pille sprechen

Denn eigentlich möchte er nicht mehr über die Pille sprechen. „Das ist über 50 Jahre her”, sagt er. Carl Djerassi hat sein „erstes” Leben als Chemiker hinter sich gelassen – dabei war er sehr erfolgreich. 20 Ehrendoktortitel wurden ihm für seine Leistungen in der Chemie verliehen. Erst kürzlich kam der 21. Ehrendoktor dazu: Diesmal ehrte ihn die Technische Universität Dortmund für seine zweite Lebensleistung – die als Autor von Theaterstücken, Romanen und gleich mehreren Autobiografien.

Djerassi wurde 1923 in Wien als Kind jüdischer Ärzte geboren und floh mit 14 Jahren vor den Nazis in die USA. Er hatte zu wenig Geld, um sich ein Medizin-Studium leisten zu können. Deswegen wurde er Chemiker. Schon mit 21 bekam er den Doktortitel.

Djerassi war auch beteiligt an der Entwicklung des ersten Antihistaminikums gegen Allergien und der medizinischen Nutzung des Hormons Kortison. Er wurde Professor an der US-Eliteuniversität Stanford und begann die Werke des Malers Paul Klee zu sammeln.

Doch dann wurde bei Djerssi Krebs diagnostiziert und er entschloss sich, seine wissenschaftliche Karriere an den Nagel zu hängen, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. „Ich habe immer schon viel gelesen” – das war für ihn die Ausbildung als Autor.

Gerne sagt er: „Mein chronologisches Alter ist fünfund-achtzigeinhalb, aber als Autor wäre ich 41 Jahre alt.” Sein literarisches Schaffen ist sein zweites Leben, betont er. „Das ist wie eine Scheidung – und davon habe ich wirklich Ahnung.”

Ein typischer Mann, er wollte sich rächen

Djerassi war drei Mal verheiratet. Zuletzt mit der Literaturprofessorin Diane Middlebrook, die 2007 starb. 20 Jahre waren sie ein Ehepaar – dabei wollte sie ihn eigentlich für einen anderen verlassen. „Ich war ein typischer Mann, ich habe vor Wut gekocht und wollte mich rächen”, gesteht er. Er schrieb einen Wust von Gedichten für seine femme fatale und sogar einen Roman.

Nach einem Jahr Trennung schickte er ihr das Manuskript. Die berühmte Literaturwissenschaftlerin fand das Buch nicht besonders gut. Trotzdem heirateten die beiden – unter der Bedingung, dass der Roman in der Schublade bleibt.

Stattdessen schrieb Djerassi andere Romane und auch Theaterstücke. Erst durch seine Arbeit als Schriftsteller kam er wieder dazu, Deutsch zu sprechen, rief seine Übersetzerin Ursula-Maria Mössner an und beschwerte sich über die vielen Anglizismen. „Einen Job suchen – es sollte heißen: eine Stelle oder eine Arbeit suchen”, warf er ihr vor. Sie sagte: „Mr. Djerassi, Ihr Deutsch ist das Deutsch der 30er Jahre, so spricht heute niemand.” Das saß – aber Anglizismen findet Djerassi immer noch grässlich.

In seinen Büchern geht es um Sexualität

In seinen Büchern geht es immer wieder um Sexualität, jüdische Identität und um Naturwissenschaftler. „Schreibe, worüber die meisten anderen Schriftsteller nichts wissen”, hatte ihm seine Frau geraten.

Von seinen Kollegen aus Stanford hat kaum jemand eines seiner Theaterstücke gesehen. „Chemiker lesen für gewöhnlich keine Bücher”, sagt Djerassi. Trotzdem gibt es immer wieder den Vorwurf, er wasche schmutzige Laborkittel in der Öffentlichkeit.

Zwischen San Francisco und London

Seit dem Tod seiner letzten Frau bewegt sich Djerassis Leben zwischen San Francisco, London und seit kurzem auch wieder Wien. „Man findet nur schwer zu einem Land zurück, dass man verlassen musste”, sagt er. „Ich träume noch immer nicht auf Deutsch.”