Wer auf die Frage nach seinem Lieblingstier „Kopfläuse” nennt, hat wahrscheinlich nicht alle Nadeln an der Tanne. Oder er arbeitet im Fachgebiet Römisch Vier Arabisch Eins Punkt Vier des Umweltbundesamtes und beschäftigt sich mit der „Wirksamkeits- prüfung von Schädlingsbekämpfungsmitteln".

Wie Gabriele Schrader. „Schabenbunker” wird der Neubau in Berlin-Dahlem volkstümlich genannt, doch diese Bezeichnung hören seine Insassen gar nicht gern. Vor allem, weil sie in die Irre führt: Zwar gibt es tatsächlich jede Menge Kakerlaken verschiedener Stämme und Herkunft, doch sie sind bei weitem nicht alles, was hier kreucht und fleucht. Zum Wohle der Volksgesundheit. Gabriele Schrader ist eine von 20 Zoologen, Veterinärmedizinern, Tierpflegern und Laboranten, die nicht nur einen Kopf, sondern vor allem ein Herz für Läuse haben. Die Rattenflöhe, Bettwanzen oder Malariamücken ganz und gar nicht abstoßend finden, sondern sich ihnen mit Hingabe widmen. Die diplomierte Biologin leitet die Zucht im Erdgeschoss: Gekachelte Räume hinter dicken Stahltüren, wo in Käfigen und chromblitzenden Brutschränken Heerscharen harmlos aussehender Tierchen unter standardisierten Bedingungen gehalten werden.

Doch der Schein trügt: In Wahrheit sind es Monster, die zu Abertausenden über uns herfallen, wenn sie die Chance dazu haben. Die uns quälen mit Stichen und Bissen. Die unser Blut saugen, bis sie dick und rund sind. Die uns Krankheiten bringen, Seuchen und manchmal sogar den Tod. Plagegeister wie Taubenzecken, die sich auch beim Menschen bedienen, wenn sie kein Vogelblut auftreiben können. Pharao-Ameisen, die sich speziell in Krankenhäusern in Wunden und unter Verbänden einnisten. Anopheles-Mücken, die Malaria übertragen, Aedes-Mücken, die Gelbfieber verbreiten – ein Riesenarsenal der schlimmsten Peiniger des Menschen, die hier gehegt, gepflegt und gepäppelt werden. Mit Tierblut, Bio-Obst und Bio-Hackfleisch oder speziellen Mastfuttermenüs.

Schaben zum Beispiel bekommen eine Mischung aus Hundekuchenmehl, Haferflocken und Bierhefe verabreicht. Denn alle diese Insekten, Glieder- und Spinnentiere müssen stark sein – zum Ster-ben. Ihr einziger Lebenszweck ist der Tod – so will es das Infektionsschutzgesetz.

Bei einer behördlich angeordneten Schädlingsbekämpfung dürfen nämlich nur Mittel und Verfahren eingesetzt werden, die „hinreichend wirksam sind und keine unvertretbaren Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit haben”.

Wenn also Kopfläuse einem Kindergarten zu schaffen machen, Kakerlaken eine Kantine unterwandern oder Bettwanzen ein Pflegeheim okkupieren, dann müssen die Mitarbeiter der Gesundheitsämter auf das amtlich geprüfte und anerkannte Arsenal für den Ernstfall zurückgreifen: Kontakt- und Fraßgifte, Klebefallen, Sprays, Lotionen oder Nebelgeräte – insgesamt etwa 200 Waffen verzeichnet die aktuelle Liste.

Ein Hersteller, der ein neues Desinfektions- oder Entwesungsmittel auf den Markt bringen will, muss also in jedem Fall zunächst die Hürde „Schabenbunker” nehmen. Soll zum Beispiel ein neues Läusemittel getestet werden, braucht Gabriele Schrader zunächst 2000 Todeskandidaten aus dieser deutschlandweit einmaligen Zucht. Diese bekommen 18 Tage lang viermal pro Woche frisches Tierblut, bis sie prall geschwollen in ihren Schalen liegen bei einem Wellness-Mikroklima von 32 Grad und 60 Prozent Luftfeuchtigkeit. Mit dem Wechsel in den zweiten Stock sind die fetten Tage dann allerdings vorbei. Im Reich der Gifte und Insektizide geht es den Quälgeistern an den Kragen.

Im Falle der Läuse prüft heute Fachgebietsleiterin und Veterinärmedizinerin Dr. Jutta Klasen das neue Mittel auf seine Wirksamkeit. Dazu besetzt sie eine Haarsträhne mit 30 Läusen und taucht sie in das Testmittel. Nach einer definierten Einwirkzeit wäscht sie es mit Shampoo oder Wasser wieder aus. „Hat auch nur eine Laus die Prozedur überlebt, darf das Mittel nicht verwendet werden”, erklärt sie das so genannte Tilgungsprinzip: Das verlangt den Tod der gesamten Population.

Alle sechs derzeit zugelassenen Insektizide und Medizinprodukte erfüllen also zuverlässig den Zweck der Läuse- Komplettvernichtung. Keines aber tötet auch alle Eier, aus denen nach sieben bis neun Tagen neue Larven schlüpfen. „Deshalb ist eine Nachbehandlung zwingend erforderlich”, sagt Jutta Klasen.

Drei bis vier neue Präparate gegen Läuse prüfen sie und ihre Kollegen jedes Jahr, ähnlich sieht es bei Schaben aus. Die aufwändigen Tests können Wochen, mitunter auch Monate dauern. Zum Beispiel bei Bettwanzen – weltweit auf dem Vormarsch durch globale Reisetätigkeit, Migrantenströme und grenzenlosen Handel.

Bettwanzen sitzen in Antiquitäten, Möbeln, Bilderrahmen, Trödel aller Art. Ihre Eier stecken in Bettgestellen, Matratzen, Obstkisten, Büchern, ja sogar CD-Hüllen. Haben sie ein Quartier erst einmal besetzt, braucht eine erfolgreiche Entwesung mittels Hitzebehandlung oder Kontaktgift vier bis sechs Wochen. Dazu muss schnelle Hilfe auf wirksame Waffen zurückgreifen können, „doch von den letzten beiden Mitteln, die wir getestet haben, ist eines leider durchgefallen”, konstatiert Jutta Klasen nüchtern.

Alltag in ihrem Geschäft: Im ewigen Kampf gegen die Bösewichter dieser Welt gewinnt nicht immer der Mensch. Aber er arbeitet daran.