Essen. Realmaße statt Idealmaße brauchen Mode- und Autoindustrie. Denn wir haben zugelegt an Größe und Umfang.

Die Deutschen müssen den Gürtel weiter schnallen. So ließe sich das Ergebnis der neusten Vermessung der Menschen im Lande zusammenfassen. Wir haben zugelegt, an Größe und Umfang. Eine Überraschung ist das nicht. Die Überraschung der Studie steckt im Detail: Denn eigentlich sind nur die Großen größer geworden, nur die Dicken dicker. Und mit dem stetigen Längenwachstum der Jugend scheint es auch vorbei zu sein.

Die Körpermaße von 13.362 Frauen, Männer und Kindern zwischen sechs und 87 Jahren sind digital mit Body-Scannern ermittelt worden. „Size Germany” heißt das Projekt, mit dem die Statistik auf den neuesten Stand gebracht werden soll, schließlich ist die letzte Reihenmessung schon ein paar Jahre her. 1994 war es, als bei den Frauen das letzte Mal Maß genommen wurde, bei den Männern ist es sogar noch 14 Jahre länger her.

Dicker heißt nicht automatisch grösser

Kein Wunder also, dass die Modebranche (wie auch die Autoindustrie) händeringend auf die neuen Daten wartete. „Lange überfällig” sei die Untersuchung vor allem für die Männer gewesen: „Denn nach der Messung von 1980 musste man noch annehmen, wenn Männer dicker würden, würden sie auch automatisch größer”, sagt Claudia Ollenhauer-Ries vom Verband Deutscher Mode- und Textil-Designer (VDMD). Solche Kuriositäten seien nun endlich aus der Welt geräumt.

Dafür haben über 100 Unternehmen tief in die Tasche gegriffen, darunter Schiesser und Boss, C&A und Esprit – aber auch die Großen wie Metro und Arcandor. Das hat seinen Grund: Denn nur wer gezahlt hat, der kriegt auch die Daten.

2,3 Zentimeter mehr Brustumfang als 1994

Sicher, im Groben sind sie bekannt. Einen Zentimeter größer als 1994 ist die Frau heute, ihr Brustumfang nahm um 2,3 Zentimeter zu, die Hüfte um 1,8 Zentimeter, die Taille um 4,1 Zentimeter – und das ist mehr als eine Konfektionsgröße. Bei den Männern sind die Unterschiede zu 1980 noch größer: 3,5 Zentimter in der Länge mehr, 7,3 Zentimeter an der Brust, 3,6 Zentimter an der Hüfte.

Reicht das nicht für die neue Konfektion? Nein, auf keinen Fall, heißt es bei der Otto-Group. Denn das seien ja nur Durchschnittsmaße, Schnitte ließen sich daraus nicht entwickeln. Allein 44 neue Körpermaße gibt es für Bekleidung, dazu 53 für Ergonomie: „Es ist eine hochkomplexe Aufgabe, daraus Kleidung mit optimaler Passform zu entwickeln.”

Der Umfang der Deutschen hat in den letzten Jahren zugenommen - nicht nur in der Breite, sondern auch in der Höhe. (Foto: ddp)
Der Umfang der Deutschen hat in den letzten Jahren zugenommen - nicht nur in der Breite, sondern auch in der Höhe. (Foto: ddp) © ddp

Wann die bestellt werden kann, da will sich die Sprecherin noch nicht festlegen. „Aus den Daten müssen jetzt erst mal Schnitte werden – und damit legen wir sofort los.” Übertriebene Eile ist auch Sicht der Otto-Group aber auch gar nicht nötig: „Wir haben unsere Schnitte schließlich nicht nach uralten Maßtabellen erstellt, sondern aufgrund von Rückmeldung unserer Kunden.” Mit den neuen Daten könne man jetzt aber sehen, wo man damit richtig gelegen habe – und wo noch „Optimierungen möglich sind”.

Eine „spürbar bessere Passform” ist das Ziel – nicht nur bei Otto, nicht nur im Versandhandel, wo die Größenangabe ja quasi die Umkleidekabine ersetzt. Denn verlässliche Größen – das weiß, wer gerne bummeln geht – die gibt es praktisch nicht. „Das Problem ist, dass manche Firmen auf die Veränderungen in der Praxis bereits reagiert haben und andere nicht”, erklärt Andreas Seidl, Geschäftsführer des Software-Unternehmens „Human Solutions”, das zusammen mit den Hohensteiner Instituten „Size Germany” durchgeführt hat. Deshalb könne es eben sein, dass Größe 36 in dem einem Laden passe und im nächsten viel zu klein sei.

Schmeichelgrößen wird es weiter geben

Das soll sich ändern. Aber nicht schnell und auch nicht in Riesenschritten. „Denn an den Passformen etwas zu ändern, ist heikel”, erklärte die Brax-Leineweber-Gruppe dem Branchenblatt TextilWirtschaft. Von „vorsichtigen Anpassungen” spricht denn dort auch Sportartikelanbieter Schöffel, Calida plant bereits Anpassungen bei seiner Nachtwäsche in den Größen M und L und Kaufhof will seine Eigenmarken überprüfen. „Schmeichelgrößen” – also eine gut gemeinte 42, die eine 44 ist – wird es wohl auch weiter geben, so Maß-Experte Seidl. „Aber vielleicht mit besser abgestimmten Proportionen.”

„Man muss die Vorsicht verstehen – keiner will seine zufriedenen Kunden verlieren”, so die VDMD-Sprecherin. Im Detail werde es schon Änderungen geben, nach und nach. Vor allem aber würden die Schnittmacher nun ihre Zielgruppen genauer anpeilen können, weil erstmals auch Altergruppen untersucht wurden. „Und eine 18-Jährige hat nun einmal eine andere Passform als eine Frau 40 plus.”

Und so kommt es, dass die Größe 36 auch in Zukunft nicht größer sein wird als zuvor, in der Hüfte sogar noch einen Zentimeter schmaler: „Denn die schlanken Größen haben gar nicht zugenommen, sondern nur die ohnehin korpulenten”, erklärt Seidl ein unerwartetes Ergebnis der Studie. Gewachsen sind übrigens auch nicht die kleinen, sondern die sowieso schon großen: Die 5 Prozent größten Männer legten überdurchschnittlich – nämlich um acht Zentimeter – zu: auf stattliche 1,94 Meter.

Aber mit dem ewigen Wachstum scheint es nun vorbei zu sein: Erstmals – und das ist eine wirkliche Überraschung – ist die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen im Zehn-Jahres-Vergleich nicht mehr gewachsen. Jedenfalls nicht in der Länge.

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