Essen. Vor Jahrzehnten weckte die „Berliner Republik” Ängste. Aber das erstarkte Deutschland erweist sich als weltoffen.

Vielleicht gibt es noch in irgendeinem Winkel Berlins, an dem die Welt vorüberzog, irgendeine Kneipe, die „Aal jrün” wie zu Preußens Gloria zuzubereiten versteht. Mit Teltower Rüben, Porree, Gewürzkörnern und Spreewald-Gurken. Alsdann fehlte noch ein satter Schuss kleinbürgerlicher Spießigkeit, aus der man leicht einen unheilvollen Nationalismus aufkochen kann. Sodann müssten lediglich noch größere Prisen von Gehorsam, Pflichterfüllung, Untertanengeist und Militarismus hinzugefügt werden – und wir hätten dann das Berlin, das die Welt und speziell die europäischen Nachbarn von seiner hässlichen Seite – oft blutig – erfahren haben.

Genau dies ist die Vorstellung, die nicht nur draußen, sondern auch im eigenen Land zahllose Menschen mit ängstlicher Abwehr erfüllte, als der Tag kam, an dem Deutschlands Einheit vollzogen wurde und Berlin den uralten Status als Hauptstadt konkret übernahm. Furcht vor der Berliner Republik brach sich Bahn.

»Der intellektuelle Nationalismus nimmt zu«

Protzig oder repräsentativ? Beim Publikum jedenfalls beliebt: Das Bundeskanzleramt in Berlin.
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Protzig oder repräsentativ? Beim Publikum jedenfalls beliebt: Das Bundeskanzleramt in Berlin. Foto: ddp © ddp

Diese Furcht hatte viele Facetten. Sie hält sich noch heute – siehe Polen –, speist sich aus einer verbreiteten, fast mythischen Überschätzung der historischen „Erblast” der Stadt. Selbst, dass Adolf Hitler Berlin im pompösesten aller denkbaren Maßstäbe zur „Reichshauptstadt Germania” ausbauen wollte, spukt noch in manchen Köpfen herum.

Insbesondere die westdeutsche Linke misstraute der Heimkehr zur Metropole; in ihr sah sie den Hort reaktionärer Gesinnung und die Symbolik einer für Größenwahn anfälligen Geisteswelt. Dass sie damit auch Kanzler Schröder misstraute, der mit dem Credo des „Aufbruchs in die Berliner Republik” den 1998er-Wahlkampf bestritt, schien die Kritiker nicht zu irritieren.

Doch verbarg die Skepsis der Linken womöglich bloß Ängste vor der Zukunft, vor der neuen Rolle eines nun voll souveränen Deutschlands in der Welt? Die vereinte Republik würde sich auf der internationalen Bühne nicht mehr hinter Teilung und seiner Vergangenheit verstecken können. Sie würde Entscheidungen treffen müssen – wie sich bald im Jugoslawienkrieg zeigte –, die von der „Bonner Republik” niemals hätten verlangt werden können. Die rheinische Provinz stand für ein bescheidenes, friedliches, geläutertes Deutschland, das sich heraushielt, wo immer es ging. War es also dieses Nest des Vertrauten und der biedermännischen Geborgenheit, an das sich selbst renommierte Intellektuelle festzuklammern versuchten? War es also in Wahrheit nur die Furcht, diese, die harte Realität in der Restwelt ignorierende Idylle für immer zu verlieren, die die Skeptiker so heftig antrieb?

Trotz alledem bot die Debatte um die Berliner Republik so manchem eine offene Tür, der die „neue Normalität” für bisher verborgene Gelüste zu nutzen versuchte. Sie schien gelegen zu kommen, sich der NS-Zeit und des Völkermords zu „entledigen”, den „Schlussstrich” zu ziehen. Selbst Kultliterat Martin Walser geriet in solchen Verdacht, als er vor einem Umgang mit Auschwitz als „Moralkeule” warnte. „Der intellektuelle Nationalismus nimmt zu und ist nicht frei von unterschwelligem Antisemitismus”, äußerte sich Ignaz Bubis, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland betroffen. Doch dass im post-sozialistischen Osten Deutschlands Flammen aus Asylheimen in den Nachthimmel stiegen; dass nahezu unbehelligt „Ausländerfreie Zone” ausgerufen werden kann, ist kein Merkmal einer „Berliner Republik”. Das hat mit unsäglichem Versagen der örtlichen Staatsmacht zu tun.

»Einmal ein Deutscher, immer ein Deutscher«

„Die Deutschen hat man entweder zu Füßen oder an der Kehle”, hatte einst Premier Winston Churchill befunden, der mit der Anti-Hitler-Koalition das nationalsozialistische Deutschland bezwang. Hitler-Deutschland hatte furchtbare Wunden gerissen, die nahende Wiedervereinigung riss bei den Briten vieles wieder auf. „Einmal ein Deutscher, immer ein Deutscher; man kann ihnen nicht trauen”, dazu ließ sich Premier Margret Thatcher beim Weihnachtsessen hinreißen – sie lehnte die Einheit bis zuletzt mit der ihr eigenen radikalen Entschiedenheit ab.

Vom anbrechenden „Vierten Reich” war in der britischen Presse zu lesen. Und von der Befürchtung, Deutschland wolle zur Großmacht anwachsen, die sich auf Kosten anderer Geltung verschafft. Auch dessen waren sich viele Kommentatoren gewiss: „Was die Deutschen nicht durch Weltkriege errungen haben, versuchen sie jetzt, durch ökonomischen Imperialismus zu erreichen”.

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