Trivandrum. Die größte Demokratie der Welt geht ab dem 16. April einen Monat lang zu den Urnen. Schier undenkbare Bündnisse sind möglich: zum Beispiel zwischen radikalen Islamisten und Kommunisten.
Abdul Nasser Madani verbrachte rund neun Jahre in einem indischen Gefängnis – ohne Urteil und so lange, bis ein Gericht ihn mangels Beweisen in die Freiheit entließ. Er soll im Jahr 1998 einer der Rädelsführer eines Bombenanschlags in der Stadt Coimbatore auf Lal Krishna Advani gewesen sein, dem heutigen Spitzenkandidaten der hindu-nationalistischen „Bharatiya Janata Party” (BJP). 60 Menschen kamen damals ums Leben. Dem 44-jährigen Madani wiederum fehlt seit einem Anschlag durch hindu-nationalistische Extremisten ein Bein.
In diesen Tagen macht der Chef der im Norden des Bundesstaats Kerala beheimateten radikal-islamischen „Peoples Democratic Party” (PDP) aus einem anderen Grund indienweite Schlagzeilen: Als Beispiel für die seltsamen Bettgenossen, die die heute beginnenden und bis Mitte Mai dauernden Wahlen in der größten Demokratie der Welt produzieren.
Zweckehe zwischen radikalen Islamisten und Kommunisten
Denn der radikal-islamische Madani ist im überwiegend katholischen Kerala der wichtigste Bündnispartner der regierenden Kommunistischen Partei (CPM). Die Zweckehe mit Madanis PDP soll Moslems auf die Seite der Kommunisten bringen, die in Kerala bislang für die „Muslimische Liga” gestimmt haben, einem Bündnispartner der in Delhi regierenden Kongress-Partei unter Führung von Sonja Gandhi.
Nicht nur im tiefen Süden Indiens hat ein Teil der mehr als 714 Millionen Wahlberechtigten angesichts solcher ideologisch und theoretisch schier unmöglich scheinender Bündnisse größte Mühe bei der Entscheidung an der Wahlurne. Im nordindischen „Kuhgürtel” der verarmten Bundesstaaten Bihar und Uttar Pradesh (UP) tobte während der vergangenen Wochen ein regelrechter „Gondha-Krieg” – eine blutige Mafia-Fehde um die Kontrolle über Stimmlokale zwischen Gangsterbanden, die zu unterschiedlichen Parteien gehören.
Die kauzige "Unberührbare"
Die Gondhas der UP-Ministerpräsidentin Kumari Mayawati aus der Kastengruppe der „Dalits” (Unberührbaren) setzten sich schließlich durch. Nun glaubt Mayawati an den Sieg. Die kauzige Politikerin, die die höchste Einkommensteuer aller indischen Politiker zahlt, sich eine Unzahl von Denkmälern erbauen ließ und versuchte, in der Nähe des weltberühmten Taj Mahal ein hässliches Shopping-Center zu bauen.
Mit dem politischen Erfolgsrezept ihrer Dalit-Gruppierung „Bahujan Samaj Party” (BSP), nicht nur Unberührbare, sondern auch Kandidaten der Brahmanen aufzustellen, also Angehörige der obersten Hindu-Kaste, strebt sie aus der UP-Hauptstadt Lucknow nach Delhi. „Ich möchte Premierministerin von Indien werden”, formulierte Mayawati in aller Offenheit ihren ehrgeizigen Machtanspruch.
Der Posten des Premiers ist bislang mit einigen wenigen Ausnahmen an Vertreter der nationalen Parteien gefallen. Aber die hindu-nationalistische BJP mit dem 81-jährigen Methusalem Lal Krishna Advani als Spitzenkandidat und die gegenwärtig regierende Kongress-Partei mit dem 76 Jahre alten Premierminister Manmohan Singh, einem ungewählten Bürokraten, mussten während der vergangenen Wochen erleben, dass viele kleine und regionale Parteien kein Interesse mehr an Wahlkreisabsprachen wie in der Vergangenheit zeigten.
Die Macht der Mittelsmänner
Kongress-Partei und BJP haben bei den letzten Wahlen im Jahr 2004 zusammen nur wenig mehr als 50 Prozent aller Wählerstimmen geholt. Angesichts eines mangelnden zentralen Themas beim gegenwärtigen Urnengang rechnen Experten damit, dass der Prozentsatz schrumpfen wird. „Wir werden erst nach der Wahl erfahren, wie die Allianzen aussehen”, glaubt Yogendra Yadav vom „Centre for the Study of Developing Societies” (CSDS) in Delhi, „die Macht liegt bei den Mittelsmännern, die sie aushandeln werden”. Der indische Experte wagt nur eine genaue Vorhersage: „Die Entscheidung über Sieg oder Niederlage fällt in den östlichen Bundesstaaten von West-Bengalen bis Andhra Pradesh.”