Ruhrgebiet. Elisabeth Falcone ist verzweifelt. Heroin hat das Leben ihres Sohnes zerstört – und die ganze Familie mit hinabgezogen. Hier erzählt die heute 71-Jährige ihre Geschichte. Die 20 Jahre Drogenmissbrauch des Sohnes haben Spuren hinterlassen - bei allen in der Familie.

Nachdenken über ein Leben im Zeichen der Droge: Elisabeth Falcone (Name geändert). (Foto: WAZ, Matthias Graben)
Nachdenken über ein Leben im Zeichen der Droge: Elisabeth Falcone (Name geändert). (Foto: WAZ, Matthias Graben) © WAZ

Der eine verging sich an dem Kind, der andere besorgte ihm den Stoff zum Vergessen. Wahrscheinlich wäre es ohne diese beiden Täter anders gekommen in Stefans Leben, glaubt seine Mutter Elisabeth Falcone (Name geändert). Sie sitzt auf einem Biedermeier-Stuhl, zwischen Heiligen-Figuren, Bauernschrank und Flachbildfernseher. „Das Leben war ungerecht zu mir”, sagt sie. Tränen verschleiern kurz den Blick auf ihre eigentlich so lebendigen Augen, dann dominieren wieder die Lebensfreude, die Herzlichkeit dieser kleinen Frau, die, wie sie sagt, „durch die Hölle gegangen ist” für ihren Sohn.

Hass auf die Dealer

Vor ein paar Tagen hatte Elisabeth Falcone Geburtstag, den 71. Der Sohn war zu Besuch und hat gratuliert. 44 Jahre ist er inzwischen alt, „ja, und nun ist er krank”, sagt die Mutter. 20 Jahre Drogenmissbrauch haben Spuren hinterlassen. Nieren und Bauchspeicheldrüse funktionieren nicht mehr richtig; „Weihnachten dachten wir schon, er überlebt es nicht”. Der Schwiegertochter gehe es auch schlecht, bei ihr sei es die Leber. Arbeiten könnten beide nicht mehr, dabei haben sie eine kleine Tochter. „Ich habe so einen Hass auf diese Dealer, die müssten viel schärfer bestraft werden”, sagt Elisabeth Falcone leise. Der Zorn zeichnet ihr eine Furche auf die Stirn, lässt die graublauen Augen aufblitzen.

Wann alles anfing, wann Stefan zum ersten Mal Cannabis probierte – „so genau weiß ich es nicht”, sagt die Mutter. Ein Sportlehrer habe ihn und andere Kinder sexuell missbraucht, „dafür saß der Lehrer auch 18 Monate lang im Gefängnis”. Danach, Stefan war zwölf, sei sein Selbstwertgefühl kaputt gewesen. „Er zog sich zurück, sprach nicht mehr mit mir, hatte diese Räucherkerzen im Zimmer.” Irgendwann habe sie eine Wasserpfeife in seinem Zimmer gefunden. „Ich bin dann sofort mit Stefan zur Drogenberatung gegangen”, aber offenbar war es schon zu spät.

„Was Besseres als Hasch”

Was folgte, war die Hölle, sagt Elisabeth Falcone und erzählt, was sie und ihre Familie erleben mussten: Als Stefan einen Dealer trifft, der ihm „etwas Besseres als Hasch” verspricht, wird aus dem Cannabis-Konsumenten schnell ein Junkie, ein Heroinabhängiger. Als Jugendlicher nimmt Stefan alle Drogen, die er beschaffen kann. Macht mehrmals einen Entzug, mit der Hilfe von Medikamenten und auch ohne. Er ist in Suchtkliniken und Krankenhäusern, die Mutter schickt ihn für drei Monate zu Verwandten nach Italien. Doch Stefan wird immer wieder rückfällig.

Folgen des Konsums

Das Landeskriminalamt warnt vor Cannabis:

„Neben akuten Folgeerscheinungen, wie der Erhöhung der Risikobereitschaft, der Verringerung der Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit sowie der Entstehung von Angst- und Panikzuständen, kann es auch zu Langzeitschäden kommen. Diese reichen von allgemeinen Leistungs- und Kreativitätsverlusten bis hin zu seelischen und körperlichen Entwicklungsstörungen.”

Die Mutter kann sich nicht damit abfinden. Wenn Stefan nicht nach Hause kommt, fährt sie zum Essener Hauptbahnhof, zur Dortmunder Reinoldikirche, klappert die Drogenumschlagsplätze des Ruhrgebietes ab. Dabei hat sie einen Baseballschläger, „um mich wehren zu können“, wenn sie Stefan ins Auto zerrt. Die Mutter will nicht, dass der Sohn Automaten knackt. Sie gibt ihm Geld. Er soll nicht verwahrlosen, nicht in der Beschaffungskriminalität untergehen. Wenn kein Stoff im Haus ist, flößt sie dem durchgedrehten Junkie Schnäpse ein, damit er sich beruhigt. Sie kämpft mit ihm, nicht nur mit Worten; manchmal liegen beide auf dem Boden. Der Vater fährt bis nach Unna, zu einer Apotheke, die in den 80er Jahren bereits Methadon verkauft – für 100 Mark pro Portion.

Stefan ist nicht das einzige Kind. Er hat noch einen Bruder und eine Pflegeschwester. Elisabeth Falcone, die Werbekauffrau, ist berufstätig, all die Jahre lang. Auch der Vater, ein Dolmetscher, hat viel zu tun. Dazu die drei Kinder, das reicht an sich schon, um ein harmonisches Familienleben zu strapazieren. Der suchtkranke Stefan sprengt es.

Clean und doch kaputt

„Es gab kein normales Leben mehr in unserer Familie“, sagt die Mutter heute, 30 Jahre später. Sie kämpft wieder mit den Tränen, nur eines noch: Vor Kurzem gab es einen Wasserschaden in der Wohnung. „Bei der Renovierung habe ich noch alte Spritzen gefunden, da kam alles wieder hoch.”

Nach 20 Jahren schwerer Drogensucht schafft es Stefan endlich, clean zu bleiben. Er ist Anfang 30 und möchte noch mal neu anfangen. Er findet eine Frau, auch sie ist ein Ex-Junkie. Sie gründen eine Familie, kümmern sich um ihre Tochter. Drogen spielen in ihrem Leben keine Rolle mehr, doch sie kommen nicht auf die Beine. So ist es bis heute. „Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird“, sagt Elisabeth Falcone. „Ich mache mir einfach Sorgen um meine Enkeltochter.”

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