Essen. Mit dem Kondomverbot stellt Benedikt XVI. katholische Dogmen über die Not der Menschen. Zwar muss der Papst eine gewisse Distanz zu weltlichen Dingen wahren, das verlangt sein Amt, doch „darf er deshalb den Kontakt zur Realität nicht kappen”, sagt der Bochumer Fundamental-Theologe Markus Knapp.

Jubelnd, lachend und singend begrüßte die bunte Menge den Heiligen Vater. „Es lebe der Papst”, riefen sie in Sprechchören in Kameruns Hauptstadt Jaunde, als Benedikt XVI. zum ersten Mal nach seiner Wahl vor knapp vier Jahren afrikanischen Boden betrat. Diesen tanzenden, fröhlichen und sinnenfrohen Menschen begegnete der Papst mit der strengen Mahnung zu sexueller Enthaltsamkeit und geistiger Erneuerung. Er hätte ihnen ebenso das Lachen verbieten können – oder das Weinen.

Tränen zu vergießen, dafür hat der Kontinent Grund genug. Fast ein Viertel der gesamten Bevölkerung im südlichen Afrika ist HIV-infiziert. Im Jahr 2005 trug jede dritte schwangere Frau den Virus in sich. Aids ist für die Hälfte aller Todesfälle in Südafrika verantwortlich, von den 15- bis 49-Jährigen sterben sogar 71 Prozent an Aids – der Virus tötet eine Generation. Die Zahl der Waisenkinder, die ohne ihre an Aids gestorbenen Eltern aufwachsen, ist ungezählt. Medikamente oder medizinische Versorgung bleiben einer Minderheit vorbehalten.

Gewiss erwarten die Gläubigen in Afrika von Benedikt eine Heilsbotschaft. In ihrer ersten Freude über den Besuch mag zunächst untergehen, dass der deutsche Papst noch im Flugzeug aus großer Höhe den akuten irdischen Sorgen und Nöten nur alt-bekannte Dogmen entgegenhielt. Und in Afrika, wo der Glaube sehr ursprünglich und selbstverständlich ist, wo er nicht durch die Aufklärung gebrochen ist, wie es der Benediktiner Notker Wolf erklärte, werden seine Worte aufgenommen wie heilige Gesetze.

Mit seinem Verdikt gegen die Benutzung von Kondomen hat Benedikt XVI. indes keine Neuigkeit verkündet. Schon in der Enzyklika „Über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens” (Humanae vitae) aus dem Jahre 1968 hat sich die katholische Kirche gegen jegliche empfängnisverhütende Methode gestellt: „Ebenso ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes (. . .) darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern”, heißt es dort. Das schließt das Kondom ein. Und so wird es – trotz 22 Millionen Infizierter südlich der Sahara – auch bleiben.

Allein mit der massenhaften Verteilung von Präservativen lässt sich die Pandemie nicht bekämpfen, damit hat der Papst Recht. Dies wäre eine dumme Verengung des Aids-Problems auf ein Gummi. Dazu müsste sich in Bildung, Erziehung, Medizin, Aufklärung und Sexualität vieles ändern. Zahlreiche Helfer und Organisationen in Afrika bemühen sich darum. Es muss sich ein Männerbild ändern, Frauen müssen unabhängiger werden, Sex darf nicht länger als Ware gelten. Eine „Humanisierung der Sexualität”, wie sie Benedikt fordert, „eine innerliche Erneuerung” des Menschen wären tatsächlich wunderbar. Doch sind dies feingeschliffene Worte – den Alltag der Menschen berühren sie nicht.

Kondome retten Leben

Daher ist es falsch, starr am Kondomverbot festzuhalten, denn Kondome retten Leben. Hier hat der Papst auch aus Sicht katholischer Theologen die Werte über das Elend gestellt; das Prinzip über die Menschlichkeit; das Dogma über die Barmherzigkeit. Zwar muss der Papst eine gewisse Distanz zu weltlichen Dingen wahren, das verlangt sein Amt, doch „darf er deshalb den Kontakt zur Realität nicht kappen”, sagt der Bochumer Fundamental-Theologe Markus Knapp. In diesem Fall aber habe er den Kontakt verloren.

„Es zwingt mich in die Knie, wenn wir am Totenbett eines Kindes sitzen müssen”, sagt der deutsche Pfarrer und Aids-Aktivist Stefan Hippler. Der Mann, der in Kapstadt mit seiner Hilfsorganisation „Hope” das Leid der Menschen hautnah erlebt, bezeichnet die Moraltheologie seiner katholischen Kirche für Afrika als „verhängnisvoll”. So kämpfen er und andere nicht nur gegen die Seuche, gegen Unwissen, Armut und Aberglaube, männliche Verantwortungslosigkeit und politische Tatenlosigkeit, sondern überdies gegen eine Amtskirche, die Kondome nach wie vor als Teufelszeug verdammt. So lässt Rom barmherzige und tatkräftige Menschen im Stich.

Eine Vision: Welche Siege könnten errungen werden, wenn die katholische Kirche als größte globale Institution, die sich in Afrika einer schnell wachsenden Anhängerschaft von derzeit 140 Millionen Menschen erfreut, konsequent den Kampf gegen Aids aufnehmen würde?

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