gelsenkirchen. Weltmeister Doktor Wladimir Klitschko wird von seinem nächsten Gegner David Haye beleidigt und provoziert. Aber er liebt das Boxen. Mit allen seinen Typen.

Am 20. Juni boxt Schwergewichts-Weltmeister Wladimir Klitschko in der Schalker Arena gegen seinen englischen Herausforderer David Haye. Es ist Klitschkos erster Kampf in einem Fußball-Stadion, 60 000 Fans werden erwartet. Über seine Wahrnehmung der Massen, über blaue und gelbe Teppiche in seiner Wohnung und das Ballyhoo vor großen Auftritten im Ring sprachen Thomas Lelgemann, Frank Lamers und Ralf Birkhan mit ihm.

Haben Sie sich schon von den verbalen Tiefschlägen erholt, die Ihnen David Haye auf der ersten Pressekonferenz verpasst hat?

Klitschko: Davon muss ich mich nicht erholen, das waren für mich keine Tiefschläge. Das waren Provokationen, und für die muss ich mich bedanken. Es ist doch schön, wenn mein Gegner mich auf diese Art motiviert.

Trotzdem wirkten Sie wütend, als Haye sein T-Shirt mit den abgeschnittenen Köpfen der Klitschko-Brüder vor die Kameras hielt. Hat er dabei eine Grenze überschritten?

Natürlich, das hat er. Aber ich war nicht wütend. Wut hat viel mit dem Verlust von Energie zu tun. Trotzdem muss ich sagen, ich hätte große Lust gehabt, David Haye schon am Donnerstag vor die Fäuste zu kriegen. Jetzt will ich diese Emotionen kanalisieren und ihn im Ring bestrafen.

Muss ein Boxer denn die Emotionen im Ring nicht ausschalten?

Genau das meine ich mit kanalisieren. Ich werde im Ring auf meine Strategie konzentriert sein.

David Haye wird Sie aber weiterhin provozieren.

Ja, das kann er auch gerne tun. Wenn ich ein Nachwuchsboxer wäre, könnte er damit sogar Erfolg haben. Aber ich habe viel Erfahrung, habe schon von vielen Gegnern Sprüche gehört und kann das gut verarbeiten. Allerdings habe ich keine Lust, mich auf Polemik einzulassen.

Ohne Provokationen hätte es den Kampf gegen Sie aber wohl nicht gegeben. Haye ist eigentlich Crui-

sergewichtler und hat erst zwei Kämpfe im Schwergewicht bestritten.

Genau so ist es. Was aber niemand vergessen darf: Es ist eine freiwillige Titelverteidigung von mir, und ich habe David Haye ausgewählt als Gegner, nicht er mich. Ich habe das gemacht, weil er provoziert hat und die Fans den Kampf sehen wollten.

Also hat er sein Ziel auf seine Weise erreicht?

Das hat er. Aber die Frage ist, warum macht er denn jetzt noch weiter mit seinen Provokationen?

Weil er Sie aus ihrem Konzept reißen will?

Vielleicht versucht er das. Aber es wird ihm nicht gelingen. Noch einmal: Ich bin nicht emotional im Ring.

Als Sie 2003 im Kampf gegen Corrie Sanders von ihren Gefühlen getragen wurden, endete das mit einer bösen K.o.-Niederlage.

Das stimmt. Es ist mir bis dahin noch nie passiert, dass mir jemand im Ring so einen Schlag verpasst hat. Ich war sauer auf Sanders, und mein Ego war viel zu groß, ich wollte zurückschlagen, und so ist das damals passiert. Aber daraus habe ich meine Lehren gezogen, das wird sich nicht wiederholen.

Bei der Niederlage gegen Sanders hatte man den Eindruck, dass Sie das Publikum nicht enttäuschen wollten. In Schalke sitzen nun 60 000 Fans mit ihren Erwartungen im Stadion.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber ich kriege gar nicht mit, was rund um den Ring passiert. Ich komme zwei Stunden vor dem Kampf ins Stadion, dann läuft alles nach einem festgelegten Plan ab. Weder auf dem Weg zum Ring, noch beim Kampf bemerke ich, was rundherum passiert. Beim Kampf selbst höre ich die Stimmen aus meiner Ecke und die Kommandos aus der Ecke des Gegners. Mehr nicht. Dann ist der Kampf vorbei, wir gehen alle hinaus, und erst in der Kabine nehme ich meine Umwelt wieder richtig wahr.

Ihr Bruder Vitali ist ebenfalls Weltmeister und strebt eine Karriere in der Politik an. Wie sieht Ihr Lebensentwurf aus?

Ich verstehe seine Motivation, er will aus unserer Heimat Ukraine ein besseres Land machen. Ich bewundere das, aber ich habe nicht vor, in die Politik zu gehen.

Sie und ihr Bruder Vitali wirken trotz ihrer großen Erfolge oft sehr distanziert von dieser Boxwelt. Bereitet den Doktoren Klitschko denn ein aggressiver Mann wie ihr Gegner David Haye auch Freude?

Boxen ist ein klassischer Sport. Seit es den Kampf zwischen zwei Männern gibt, existiert er. Und ich sehe meinen Bruder im Parlament, und ich sehe einen Carlos Gomez, der gegen Vitali gekämpft hat und sich einfach nicht benehmen kann. Aber ich liebe diesen Sport. Ich tue das alles gern. Und in einer großen Familie hat man ja auch Kinder mit verschiedenen Charakteren.

Schauen Sie zuerst auf die Tabelle der Bundesliga oder auf Dynamo Kiew?

Auf beides. In Deutschland bin ich Fan des FC St. Pauli und von Bayern München.

Oh. Das wird auf Schalke nicht gut ankommen.

Langsam, Moment. Schalke ist ein Traditionsklub, und Blau ist meine Lieblingsfarbe. Und Gelb auch.

Gelb? Schon wieder falsch!

Das weiß ich doch. Schalke und Dortmund. Aber Blau und Gelb sind eben auch die Nationalfarben der Ukraine und meine Lieblingsfarben. Im meiner Wohnung habe ich sogar Teppiche in beiden Farben.

Stellen Sie sich denn auf Ihren ersten Kampf in einem Fußball-Stadion ein?

Natürlich. Ich sehe mir ein Schalker Spiel an und will die Mannschaft kennenlernen.