Nach wie vor fehlen trotz einer Reihe von EU-Gipfeln glaubwürdige und überzeugende Lösungen der Euro-Schuldenkrise. Dies führt entweder zu immer größer werdenden aneinander gereihten Rettungspaketen und -transfers oder zu einem Zerfall der Euro-Zone. Gerade die Europäische Zentralbank (EZB) kann dazu beitragen, die Euro-Zone gegen eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale zu schützen.
Zuvorderst ist ihre politische Unabhängigkeit wiederherzustellen, nachdem sich die EZB - ohne über das Mandat dafür zu verfügen - in den letzten Monaten mehr und mehr bei den Rettungspaketen für einzelnen Länder engagiert hat. Es bleibt abzuwarten, ob der künftige EZB-Chef Mario Draghi die Überzeugung und Autorität haben wird, sich gegen Paris, Berlin und Rom durchzusetzen. Die Zukunft des Euro könnte davon abhängen.
Draghi sollte sich dringend einer „Reparatur“ der EZB-Bilanz zuwenden. Die Bank hat ihre Kapitalbasis durch den Ankauf und die Besicherung von Refinanzierungsgeschäften durch vergiftete Papiere aus hoch verschuldeten Ländern deutlich geschwächt. In jedem Fall ändern sich die Verhaltensweisen der Märkte und Akteure, wenn sie regelmäßig mit Interventionen durch öffentliche Instanzen rechnen dürfen - mit verheerenden Folgen, wie die EU-Schuldenkrise zeigt. Auch Rating-Agenturen geben Volkswirtschaften, in denen die Notenbank regelmäßig für einen Bailout von Staatsschulden herhalten kann, einen Bonus.
Spätestens seit der Entscheidung der EZB im Mai, griechische Staatsanleihen zu kaufen, bewegte sich die EZB auf gefährlichem Terrain. Seitdem ist es dem amtierenden EZB-Chef Jean-Claude Trichet nicht gelungen, eine klare Linie zu vermitteln - auch deshalb, weil es den nationalen Regierungen offensichtlich gelungen ist, die nationalen Zentralbanken als Vertreter nationaler Interessen zu nutzen. So erhielt fast jeder etwas: die Banken einiger südlicher Mitgliedsländer können fragwürdige Wertpapiere als Sicherheiten für geldpolitische Operationen einreichen. Den Deutschen, die traditionell die Gefahren der Inflation fürchten, wurden zwei Zinserhöhungen gewährt. Und die Regierungen der in Schwierigkeiten geratenen Länder erhielten den Kauf von Staatsanleihen.
Trichet richtete die Aktivitäten der EZB ausschließlich auf das Ziel der Preisstabilität aus und zeigt sich angesichts des über seine Amtszeit erreichten Durchschnitts von 1,97 Prozent Verbraucherpreisinflation regelmäßig sehr zufrieden. Die EZB hatte somit keinen Anreiz tätig zu werden, als das Geldmengen- und Kreditwachstum auf hohem Niveau verharrte – obwohl dies zu einer steigenden Fragilität des Finanzsektors führte. Das Hauptproblem dabei ist, dass diese Entwicklung auch andere volkswirtschaftliche Akteure wie den Staat und den Privatsektor betrifft und in der Regel hartnäckig ist. Langfristig sollte der Orientierung am Geldmengen- und Kreditwachstum wieder Priorität geschenkt werden.