London. Sollen Gewohnheitstrinker von Organtransplantationen ausgeschlossen werden? Das ist das Thema einer brisanten Debatte in einem Land, in dem Kampftrinken längst zum Volkssport geworden ist. Die britische Regierung hat bei Spenderlebern eine "Alkoholkrise" ausgerufen.

Jede vierte britische Spender-Leber wird Gewohnheitstrinkern transplantiert. Diese Zahl präsentierte gestern die Londoner Sonntagszeitung Observer und erklärte ein Thema zum Problem, das kaum neu ist. Auch in anderen Ländern profitieren viele Alkoholkranke von Organspendern. Neu ist die Ethik-Debatte, die das Königreich jetzt bewegt.

Als die 26-jährige Kirstie Booker starb, rettete sie fünf Menschen das Leben. Ihre Herzklappe ging an ein Neugeborenes, zwei Blutdruck-Patienten bekamen die Nieren, ein Mann ihre Leber und eine Frau in ihrem Alter die Lungen. Sie war auf traurige Weise ein Glücksfall für die Transplantationslobby, der sich auch Kirsties Eltern mittlerweile angeschlossen haben: Ihr Schicksal zeigte dem Land der Organspendemuffel nämlich eindrucksvoll, wie viel ein einziges Unfallopfer zum Guten wenden kann.

Doch in den Genuss einer solchen Vertragsverlängerung fürs Leben soll nicht jeder Kranke kommen können. Seitdem neue Zahlen belegen, dass sich Lebertransplantationen für Trinker in der letzten Dekade um 60 Prozent erhöht haben, setzten sich willige Spender massiv für eine Selektion unter den Empfänger ein. „Ich finde es widerwärtig, dass jede vierte Leber an Alkoholiker geht”, kritisierte Eunice Booker, Kirsties Mutter, die Praxis gegenüber dem Blatt. „Wenn zwei Menschen medizinisch mit dem Organ kompatibel sind, ist doch klar, dass der Nicht-Alkoholiker darauf ein viel größeres Recht hat.”

Große Alkoholprobleme

Großbritannien gehört in Europa zu den Ländern mit den größten Alkoholproblemen. Dabei sind es nicht mehr nur schwer Suchtkranke, die gesundheitliche Konsequenzen zu spüren bekommen, sondern in rapide zunehmenden Maße auch Briten, für die ein paar Pints oder die Flasche Rotwein zum normalen Feierabendvergnügen zählen. Ein zweiter Trend verschärft die Situation auf der Insel: Spenderorgane werden eben immer knapper, das ethische Dilemma für Transplantationsmediziner somit komplizierter.

„Man muss schon sicher wissen, dass der Patient mit dem Trinken aufhört”, so der Medizinethik-Experte Dr. Tony Callard. „Wenn jemand dieses Versprechen nicht einhalten kann, dann sind die medizinischen, nicht nur die ethischen, Vorbehalte ausreichend, um die Transplantation zu verweigern.” Häufig wird Alkoholkranken zur Auflage gemacht, dass sie mindestens sechs Monate vor der Operation abstinent leben.

Aufsteiger unter den Todesursachen: Leberzirrhose

Insbesondere die Leberzirrhose hat sich auf der Insel mittlerweile zum traurigen Aufsteiger unter den Todesursachen entwickelt – vor allem bei Briten unter 45 Jahren. „Es ist unfair, dass Leute, die zu viel trinken, eines der extrem kostbaren Spenderorgane bekommen”, so Eunice Booker.

Die britische Regierung spricht bereits von einer „Alkoholkrise” und richtet sich mit Schock-Plakaten nicht mehr nur an jugendliche Komasäufer, sondern neuerdings auch an Feierabendtrinker, die die Langzeitgefahren von Alkohol unterschätzen. Auch Peter Ivory spricht regelmäßig über sein Schicksal: Er ist 40 Jahre lang an den Wochenenden auf Kneipentour gegangen – bis er krank wurde. Durch seine Geschichte versucht der 62-Jährige, andere aufzurütteln – das kann er nur, weil ihm eine Spenderleber eine zweite Chance gegeben hat.

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