Essen. Wernher von Braun baute Raketen für Hitler. Aber auch in den USA machte der deutsche Wissenschaftler Karriere.
Nein, dieser Satz stammt nicht von ihm. „Wenn die Raketen erstmal oben sind, wen schert's, wo sie 'runterkommen? Das ist nicht meine Abteilung.“ Ein bekannter US-Satiriker legte Wernher von Braun diese Worte vor über 40 Jahren in den Mund. Treffer. Von Brauns Opportunismus war mindestens genauso ausgeprägt wie seine Verdienste für die Raumfahrt groß waren. Ohne den deutschen Wissenschaftler, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den Dienst der Vereinigten Staaten trat und später auch die US-Staatsbürgerschaft annahm, wäre die Geschichte von der Eroberung des Weltalls wohl anders verlaufen.
Ein Teleskop zur Konfirmation
Der Bau von Raketen war dem 1912 im heute polnischen Wirsitz geborenen Sohn des Generaldirektors der Deutschen Raiffeisenbank AG nicht in die Wiege gelegt. Und doch interessierte sich Klein Wernher bereits früh für den Weltraum. Auch, weil seine Mutter ihm zur Konfirmation ein Teleskop schenkte, mit dem der spätere Raketenforscher erste Sehnsüchte nach den Sternen befriedigte. Dass er dafür einmal über Leichen gehen würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt keiner.
Mit 13 Jahren experimentierte von Braun im Berliner Tiergarten mit Feuerwerksraketen, noch vor dem Abitur trat er dem „Verein für Raumschifffahrt” bei, in dem er Kontakte zu bekannten deutschen Raketeningenieuren knüpft. Der Beginn der Karriere eines Mannes, der seine Brillanz in den Dienst der Mächtigen stellte, unberührt vom Tod Tausender, die im Dritten Reich seine Raketen zusammenbauen mussten.
Sein Leben lang hat Wernher von Braun geleugnet, er habe Kenntnis von den unmenschlichen Zuständen in den unterirdischen Fabriken bei Nordhausen in Thüringen gehabt. Dort mussten Kriegsgefangene und KZ-Insassen unter Einsatz ihres Lebens bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs seine Erfindung, die deutsche Vergeltungswaffe V2, zusammenschrauben.
Im Wettlauf mit den Sowjets
Den Amerikanern waren seine Fähigkeiten weit wichtiger als seine braune Vergangenheit. SS-Mitgliedschaft? NSDAP-Parteibuch? Im Wettlauf mit den Sowjets schaute die US-Administration über solche Kleinigkeiten gern hinweg. Deutsche Wissenschaftler vom Schlage eines von Braun wurden gebraucht, um im Kalten Krieg den Klassenfeind in die Schranken zu weisen.
Seine Karriere verläuft atemberaubend – sowohl in Deutschland als auch später in den Vereinigten Staaten. Bereits mit 25, nach abgeschlossenem Ingenieur-Studium und Promotion, spendiert die deutsche Wehrmacht ihrem Raketenmann für Millionen Reichsmark eine eigene Forschungsstätte in Peenemünde an der Ostsee, wo von Braun seine Träume vom Überschallflugkörper wahr werden lassen kann. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der SS-Sturmbannführer noch 1944 an Raketen bastelt, mit denen es Hitler möglich sein soll, die USA anzugreifen.
Doch soweit kommt es nicht: Die Rote Armee rückt 1945 immer näher, von Braun setzt sich im April mit rund 500 Mitarbeitern nach Bayern ab, stellt sich den Amerikanern. Und reist bereits im Juli in die USA ein, zusammen mit über 100 Weggefährten. Wie praktisch, dass die USA Technik und Akten vor den Sowjets retten konnten und aus Peenemünde in die Staaten bringen ließen. Von Braun macht einfach weiter. Und wird später sogar zum Fernsehstar. Walt Disney entdeckt den Neu-Amerikaner für sich und dreht mit ihm in den 50er-Jahren mehrere erfolgreiche Filme über seine Arbeit.
Doch Popularität ist nicht allein das, was von Braun antreibt. Sein großer Tag ist der 21. Juli 1969. Neil Armstrong und Buzz Aldrin spazieren über den Mond. Und von Brauns Technik hat sie dort hingebracht. Der „Kolumbus des Weltalls” ist zufrieden.
Bis zuletzt uneinsichtig
1977 stirbt der „Raumfahrt-Siegfried”, wie der Technokrat wegen seiner Erscheinung auch genannt wird, an einer Krebserkrankung. Bis zuletzt zeigt er sich uneinsichtig. Es sei ihm als Forscher nicht vorrangig um militärische Ziele gegangen – er habe eigentlich immer den Mond im Blick gehabt, die Rakete sei nur „am falschen Ort gelandet”. Wie andere auch beruft sich von Braun nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine einfache Formel: „Die Wissenschaft hat keine moralische Dimension. Sie ist wie ein Messer. Wenn man es einem Chirurgen und einem Mörder gibt, gebraucht es jeder auf seine Weise.” Er hat es sich zu einfach gemacht.