Gorleben. Bei der Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle ist die Große Koalition wie auch andere Regierungen zuvor kläglich gescheitert. Nun liefert Gorleben Wahlkampfmunition.

Diese Ruhe. Hier unten in 840 Metern Tiefe, mitten im Millionen Jahre alten Salz, schlägt der Puls langsamer. Grubenlampen werfen schwache Schatten an die glatt gefrästen Wände. Ganz warm fühlen sie sich an. Hier also könnte es sein, das Endlager für den hochradioaktiven Abfall aus Kernkraftwerken. Gorleben. Der Ort, an dem die Schlacht um die Atomenergie entschieden wird. So oder so.

Zitat

„Ich habe mir in Karlsruhe sagen lassen, dass der gesamte Atommüll, der in der Bundesrepublik im Jahr 2000 vorhanden sein wird, in einen Kasten hineinginge, der ein Kubus von 20 Meter Seitenlänge ist.”

Der Atomphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker 1969 in der Zeitschrift „Universitas”.

Ausgerechnet rot. Katherina Reiche, die stellvertretende Fraktionschefin der Union im Bundestag und Energieexpertin der CDU, schreitet im signalfarbenen Overall durch den Staub. Mit dem Fahrkorb ist sie eingefahren in das Erkundungsbergwerk, das noch so heißt, obwohl der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) im Jahr 2000 sämtliche Arbeiten stoppen ließ. Für maximal zehn Jahre soll hier alles ruhen.

Eine Mini-Truppe aus Geologen und Technikern sorgt seitdem dafür, dass das Bergwerk in Schuss bleibt. Kosten pro Jahr: 20 Millionen Euro. Ein Unding, findet Katherina Reiche. „Es gibt kein wissenschaftliches Argument für dieses Moratorium”, sagt sie, „nur ein politisches.” In anderen Worten: Blockade.

Über Endzeitstimmung in der Großen Koalition wird in diesen Tagen viel gesprochen. Und kein Thema kann den Zwist zwischen SPD und Union besser abbilden als das Gezerre um ein Endlager. 2005 schrieben sie in den Koalitionsvertrag: Man wolle zügig zu einer Entscheidung kommen. Seitdem drangsalieren sich die Koalitionspartner gegenseitig mit juristischen Kniffen und Intrigen. Gorleben unter Tage mag ein ruhiger Ort sein. Überirdisch aber tobt ein Kampf: Wer Atomkraftwerke länger laufen lassen will, muss das Endlager-Problem lösen. Und wer Atomenergie verhindern will, muss Gorleben auf die lange Bank schieben.

Frontlinien

Endlager: Die Union und auch die FDP haben sich auf Gorleben als Endlager festgelegt. Die SPD will eine offene Suche nach vergleichbaren Standorten, die Grünen wollen das Moratorium verlängern.

Auswahlverfahren: Die Energieversorger halten die Erkundung alternativer Standorte für zu teuer und zu zeitaufwändig. Selbst wenn Gorleben zügig erkundet wird, könnte es erst 2030 in Betrieb gehen.

Sicherheit: Auch nach 26 Jahren Erkundung gibt es für Gorleben keine abschließende Sicherheitsanalyse. Die Energieversorger halten es für wissenschaftlich erwiesen, dass Gorleben als Endlager geeignet ist. Kritiker, allen voran die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, halten die Nichteignung für bewiesen. Hauptargument: Das Deckgebirge des Salzstocks reiche als Barriere nicht aus. Gorleben sei ein „nach oben offenes Atomklo”.

Anderthalb Milliarden Euro haben die Energieversorger bislang in die Erkundung von Gorleben gesteckt. Sie halten das Moratorium für rechtswi-drig: „Es gibt keine Erkenntnisse, die gegen Gorleben oder Salz als Endlagermedium sprechen”, sagt Holger Bröskamp, Sprecher der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS). Die Tochter der vier Stromkonzerne entsorgt Deutschlands Atommüll – und würde damit so schnell wie möglich anfangen.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) aber, der mit Asse und Schacht Konrad zwei Atommüll-Lager in seinem Wahlkreis hat, will einen ergebnisoffenen Standortvergleich: „Ich will wissen, ob es einen besseren Standort gibt.” Opalinuston – für dieses Gestein hat sich die Schweiz entschieden – käme infrage. Es gibt Vorkommen in Bayern und Baden-Württemberg. In diesen Ländern steht jedes zweite deutsche Kernkraftwerke. Doch ein Endlager will man dort nicht: 2006 mar-schierten der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und sein Amtskollege Günther Oettinger (CDU) zur Kanzlerin. Seitdem ist Gabriels Vorschlag tot.

Anforderungen verschärft

Unlängst verschärfte Gabriel die Sicherheitsanforderungen für ein mögliches Endlager. Eine Million Jahre soll es sicher sein. Die eingelagerten Müllbehälter sollen auch nach 500 Jahren an die Erdoberfläche geholt werden können. „Das hat doch mit Wissenschaft nichts zu tun”, schnaubt Katherina Reiche.

Das Tischtuch zwischen SPD und Union ist zerschnitten, könnte man anmerken. Doch selbst den Tisch gibt es nicht mehr: Die Koalition hat die Gesprächsrunde Endlager bereits ausgesetzt.

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