Essen. Die Fans bescheren dem deutschen Fußball Rekorde. Dabei spielen die Popstars der Branche anderswo. Der Krösus, der in Deutschland auf dem fettesten Geldsack hockt, ist traditionell der FC Bayern.
Als Cristiano Ronaldo Anfang dieser Woche Madrid erschien, hatten pfiffige Zeitungsleute einen Seismografen aufgestellt. „Erzittert” sei das Stadion Bernabeu, haben sie anschließend festgestellt, erzittert seien sie, die 75 000 Fans des Klubs Real, die herbeigeeilt waren, um dem Star beim Nichtstun zu huldigen. In Berlin dürften wieder einmal nur die Rasenhalme in Bewegung geraten sein, als Artur Wichniarek seinen Dienst angetreten hat. Dessen Wechsel vom Bundesliga-Absteiger Arminia Bielefeld zur Hertha war allerdings auch nicht von weltweit verblasenen Spekulationen begleitet worden, und Fantasien darüber, wie er explodieren, wie er zur Ikone wachsen könnte in der kommenden Spielzeit, die hat Wichniarek anders als Cristiano auch nicht ausgelöst.
Böse Schmähungen
Das liegt unter anderem daran, dass der Pole im 32. Lebensjahr angekommen ist und bereits eine Liaison mit der Hertha in seiner Biografie notiert wurde. Besonders glücklich war die nicht. 44 Einsätze, vier Tore. Am Ende flüchtete der Stürmer, verfolgt von bösen Schmähungen. Die Aufgabe, die er demnächst erfüllen soll, ist dennoch nicht gering. Andrej Woronin, den Überflieger der vergangenen Saison, den Berlin sich mangels Finanzkraft nicht mehr vom FC Liverpool ausleihen kann, soll er ersetzen, und vielleicht darüber hinaus auch Marko Pantelic, die Diva, die verschwinden, die abhauen sollte, über deren Schicksal nun aber doch nicht entschieden ist.
Wichniareks Wechsel folgt nur in groben Zügen einem gängigen Muster. Eine zweite Chance gewähren Bundesliga-Klubs meist nicht Spielern, die bei ihnen schon einmal gescheitert sind, sondern denen, die ihnen weggekauft wurden von irgendeinem Krösus. Die zweite Chance erhält also üblicherweise nicht Wichniarek, der sich im Schattenreich Arminia verstecken musste, sondern zum Beispiel Tim Borowski. Der hat es sich zugetraut, den großen Durchbruch beim FC Bayern München zu schaffen. Weil das aber nicht geschehen ist, wird nun darüber diskutiert, ob er in seiner alten Heimat, bei Werder Bremen, nicht besser aufgehoben wäre. Auch andere Männer von der Weser, die erfüllt von Hoffnung Richtung Süden gezogen waren, gingen diesen Weg zurück (inklusive Umweg): Andreas Herzog, Torsten Frings, Claudio Pizarro.
Fettester Geldsack
Der Krösus, der in Deutschland auf dem fettesten Geldsack hockt, ist traditionell der FC Bayern. 2007 hat er sich Einmaliges geleistet und in Luca Toni und Franck Ribery, international begehrte Akteure, rund 35 Millionen Euro investiert. In diesem Jahr arbeitet er mit der bewährten Blaupause. Mario Gomez wurde Ligarivalen VfB Stuttgart aus den Reihen geschnitten. Ansonsten, ein weiteres weit verbreitetes Einkaufsmuster der Liga, wurden Spieler wie Danijel Pranjic, Edson Brafheid und Anatolij Timoschtschuk verpflichtet, die Qualität nachgewiesen haben, die Qualität des Funktionierens im Arbeitsprozess.
Sollte der aufsehenerregende Künstler Ribery sich noch einmal eine Blase am Fuß nehmen und damit seinen Willen zum Abschied gen Real Madrid weiterhin Ausdruck verleihen, müssten Fußballästheten eigentlich den Trauerflor anlegen. Zu erwarten allerdings ist das nicht. Schon dass Diego sich dazu entschieden hat, in Zukunft nicht mehr in Bremen, sondern in Turin Rasensport zur Kunstform zu veredeln, hat die Nation nicht zum Erzittern gebracht. Die Bundesliga ist ein Ferrari, der wie ein Käfer läuft und läuft und läuft, auf vier Zylindern, Diesel im Tank, egal.
2008/2009 wurde dieser Liga der achte Zuschauerrekord in Folge beschert. Das Geschäft floriert ohne Megastars, ohne ein popkulturelles Gewummse im Stil der Madrilenen – und seit 2001 sogar ohne europäischen Titel für einen deutschen Verein im Kreuz. Nur: warum? Vielleicht, weil die Konkurrenz ausgeglichener ist als anderswo. Oder vielleicht auch, weil wirklich jedem neuen Anfang ein Zauber inne wohnt, und sei es nur ein ganz grauer. „Artur hat in Bielefeld eine gute Entwicklung genommen”, hat Arne Friedrich den Kollegen Wichniarek begrüßt, und mehrere Grashalme sollen sich davon gerührt gezeigt haben.