Essen. Eine außerordentliche Kriminalgeschichte startet das ZDF am Sonntag: Die dänisch-deutsche Koproduktion „Kommissarin Lund” ist von Ausnahmerang – aufwühlend, pulstreibend, subtil.

Ein Format dieser Größenordnung hat Europa noch nicht produziert: ein Fall, 1000 Minuten, zehn Folgen. Dagegen hatte Francis Durbridges „Halstuch” Westentaschenformat.

Kommissarin Lund (Sofie Grabol) mit ihrem Kollegen Jan Meyer (Soren Malling). Foto: ZDF
Kommissarin Lund (Sofie Grabol) mit ihrem Kollegen Jan Meyer (Soren Malling). Foto: ZDF © Tine Harden

Wenn es nur die Quantität wäre, käme man umhin, mehr als eine Ankündigungsnotiz über „Kommissarin Lund” zu schreiben, die ab Sonntag (22 Uhr, ZDF) zweieinhalb Fernsehmonate lang den sucht, der „Das Verbrechen” begangen hat. Doch was das dänische Fernsehen mit dieser außerordentlichen Kriminalgeschichte produziert hat, ist vor allem qualitativ von Ausnahmerang, dramaturgisch, filmisch, schauspielerisch.

Halten wir uns im Sinne guter Polizeiarbeit vorerst an die Fakten. In Kopenhagen wird ein schönes junges Mädchen aus offenbar heiler Familie vermisst. Man wird es nicht mehr lebend finden. Es gibt einen seltsam versnobten Freund. Und einen politischen Aufsteiger, den man eigentlich zu sympathisch findet, um sein Auto als Leichenfundort zu akzeptieren. Und einen sehr verständnisvollen Lehrer. Und überhaupt lauter ehrenwerte, teilnahmsvolle Menschen.

Aber es gibt auch Kommissarin Sarah Lund, zäh, intuitiv, schön, schlau und zum Missvergnügen ihres Chefs auf bestem Wege, sich einem Mann zuliebe nach Schweden abzuseilen. Man feiert diesen Frontwechsel im Präsidium noch schnell und verzweifelt lustig mit Wikingerhut und blonder Kitschperücke.

Aber dann sagt der Chef: „Sie haben sie gefunden!”. Er meint das tote Mädchen Nanna Birk und der Chef weiß, dass er diesen Knopf drücken musste, um Sarah Lund bis zur Lösung dieses ungeheuerlichen Falls in Kopenhagen zu festzuhalten. „Bis morgen früh”, sagt sie, tue sie noch ihren Dienst, dann aber . . .

Dann aber bleibt sie eben doch, um jeden Stein umzudrehen in ihrer Stadt, um Kinderzimmer und Parteizentralen zu durchforsten, um in Schulen zu suchen und in Villen, in Lagern und im dunklen Wald, um in Seelen zu sehen und in Abgründe. Lunds kleiner Sohn fühlt sich von ihr vernachlässigt, Lunds graumelierter Freund desgleichen.

Und das ist schon der erste clevere Handgriff dieses Zehnteilers: Er stellt eine Frau in den Mittelpunkt, wie wir sie als Mutter und Frau an unserer Seite wünschen – um allzu rasch zu merken, dass sie mehr als jeder Mann in ihrem Team vor allem Jagdhund ist. Und erst viel, viel später vielleicht ein Etwas am Kinderbett oder auf der Feierabendcouch.

Ein Drehbuchautoren-Quartett, ein fünfköpfiges Regieteam und ein halbes Dutzend exquisiter Kameramänner haben zu Frans Baks beunruhigenden Trommel-Sound aus einem Krimi einen vielschichtigen Kosmos geschaffen: aufwühlendes Sittengemälde, bestechende Porträtstudie, pulstreibendes Drama, subtiler Thriller, weltwunde Ballade – und nicht zuletzt einen neoklassischen „Wer war's”-Fall, der stets neue Verdächtige einkreist, oft plausibel, immer überraschend.

Gallig gesprochen, sind die größten Würfe des ZDF fast immer die eingekauften. Aber man hat ja von Mainz aus brav mitproduziert und es hat sich gelohnt. Wann hat man sich zuletzt zehn Sonntagabende hintereinander nichts vorgenommen? Sie haben's vergessen? Das wird sich diesen Herbst ändern. Versprochen.

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