Istanbul. Das Buch des wegen sexuellen Missbrauchs angeklagten Marco W über seine "247 Tage im türkischen Knast" wird zum Politikum in der Kontroverse zwischen einem mächtigen Medienkonzern und Ministerpräsident Erdogan. Unterdessen legte auch Marcos zweiter Anwalt sein Mandat nieder.

Mit seinem Buch über „Meine 247 Tage im türkischen Knast” hat sich der 18-jährige Marco W. unversehens zwischen die Fronten eines erbitterten türkischen Medienkrieges begeben. Der junge Deutsche, dem in der Türkei sexueller Missbrauch einer Minderjährigen vorgeworfen wird, riskiert mit der Veröffentlichung möglicherweise auch neue Komplikationen in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren. Am Freitag quittierte wegen der Veröffentlichung auch Marcos zweiter deutscher Verteidiger sein Mandat.

Ein „hässliches Buch”

Ein „hässliches Buch” habe Marco W. da geschrieben, urteilt die regierungsnahe, islamisch geprägte Zeitung „Yeni Safak”. Sie stützt dieses Urteil allerdings lediglich auf Verlagsankündigungen - denn das Buch erschien ja erst am gestrigen Freitag. In der Verlagswerbung war von „Folter” und „Drogen” im türkischen Knast die Rede. Ohne das Buch gelesen zu haben, zieht der Rezensent von Yeni Safak bereits Parallelen zum Film „Midnight Express”. Der auf einem wahren Fall basierende, 1978 gedrehte Streifen des Regisseurs Alan Parker schilderte das Schicksal eines US-Studenten, der wegen Drogenschmuggels in einem türkischen Gefängnis landet und dort schwer gefoltert wird. Der Film prägte im Ausland für lange Jahre ein Negativbild von den türkischen Haftanstalten.

Anstoß nimmt „Yeni Safak” aber auch an der Veröffentlichung der Marco-Memoiren in „Bild” - und damit droht der junge Deutsche jetzt in eine aktuelle Kontroverse hineingezogen zu werden. Denn „Bild” gehört zum Springer-Konzern, und der pflegt eine enge Kooperation mit der größten türkischen Medienholding Dogan, an der er auch eine Minderheitsbeteiligung hält. Konzernchef Aydin Dogan wiederum und der islamisch-konservative Ministerpräsident Tayyip Erdogan liefern sich seit Monaten eine erbitterte Fehde, bei der es einerseits um Korruptionsvorwürfe gegen die Regierungspartei und angebliche Unregelmäßigkeiten in dem Medienkonzern andererseits geht. Die Kontroverse wird auch zwischen den regierungsnahen und regierungskritischen türkischen Medienkonzernen ausgetragen.

Verführungsopfer

Damit bekommt der Fall Marco, der bereits wegen der achtmonatigen Untersuchungshaft des deutschen Schülers im vergangenen Sommer zu erheblichen politischen Irritationen zwischen Berlin und Ankara geführt hatte, nun zumindest aus Sicht der regierungsnahen „Yeni Safak” auch eine innenpolitisch brisante Dimension.

Welche Folgen die Buchveröffentlichung für den Prozess gegen Marco W. hat, der am 10. April fortgesetzt werden soll, bleibt abzuwarten. Während die Anklage Marco vorwirft, er habe im Osterurlaub 2007 im südtürkischen Antalya eine 13-jährige Britin in deren Hotelzimmer sexuell missbraucht, stellt sich der Deutsche in seinem Buch als Verführungsopfer hin und bestreitet, dass es mit dem Mädchen zum Geschlechtsverkehr gekommen sei.

Nachdem wegen der reißerischen Werbung für das Buch am Donnerstag Marcos Anwalt Matthias Waldraff sein Mandat niederlegte, trat am Freitag auch der zweite deutsche Verteidiger, Michael Nagel, von dem Mandat zurück. Er habe Marco dringend geraten, während der Dauer des Prozesses die Medien zu meiden, begründete Nagel seinen Schritt. Unklar ist bisher, ob der türkische Verteidiger weiter zu Marco steht.

Mehr zum Thema: