Essen.Politiker sieht rechtliche Grauzone, Wissenschaft scheut die Debatte über Risiken der Stammzellforschung.
Forscher, Ethiker, Politiker – alle jubelten. Als es vor drei Jahren erstmals gelang, Hautzellen wieder in den jungfräulichen Zustand embryonaler Stammzellen zu verwandeln, schienen alle Probleme gelöst: Man musste nicht länger Embryonen zerstören, um an die wandlungsfähigen Stammzellen zu gelangen – der Weg in die Zukunft einer ethisch sauberen Medizin schien offen. Mit Hilfe der zurückprogrammierten Zellen, die man „induzierte pluripotente Stammzellen” (IPS) taufte, ließen sich alle möglichen Zelltypen für die Therapie bislang unheilbarer Krankheiten entwickeln, etwa Nerven- oder Herzmuskelzellen, Haut- oder Leberzellen. Und das ohne das Opfer von Embryonen.
Doch jetzt wird immer klarer, dass der medizinische Fortschritt nicht zum moralischen Nulltarif zu haben ist. Denn: „Die IPS-Zellen sind so entwicklungsfähig wie embryonale Zellen”, sagt der Essener Stammzellforscher Prof. Hans-Werner Denker. „Und daher können aus den zurückprogrammierten Zellen ebenfalls Embryonen entstehen.”
Dazu müsse man im Labor nur das hinlänglich erprobte Verfahren der „tetraploiden Komplementierung” anwenden. Denker: „Dabei wird erreicht, dass aus den IPS-Zellen vollständige lebens- und fortpflanzungsfähige Individuen erzeugt werden.” Denker wies auf dieses Problem jüngst in einem Aufsatz in dem Fachjournal „Reproductive BioMedicine Online” hin. Mit dieser Methode werden in Labors rund um den Globus Mäuse geklont. „Es gibt keinen Grund, warum dies nicht auch beim Menschen möglich wäre”, sagt Denker.
„Forscher drücken sich, das Thema anzupacken”
Doch die Wissenschaft ignoriert das Thema bislang, und der Politik ist die Brisanz des Problems meist nicht klar. „Prof. Denker hat völlig Recht”, sagt aber Rene´ Röspel, Gentechnik-Experte der SPD-Bundestagsfraktion. „Es stimmt, dass IPS-Zellen ethisch nicht so unproblematisch sind, wie alle Welt meint.” Das Klonen sei in Deutschland zwar verboten, „dennoch gibt es hier eine rechtliche Grauzone.” Eine gesetzliche Präzisierung erwarte er aber nicht.
Der Kölner Stammzellforscher Jürgen Hescheler bestätigt: „Es ist richtig, alle Techniken, die man mit embryonalen Zellen anwenden kann, funktionieren wahrscheinlich auch mit IPS-Zellen.” Auch er verweist auf das Klonverbot in Deutschland, sagt aber: „Ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass es nicht irgendwo auf der Erde versucht wird.” Niemand könne kontrollieren, ob aus den Zellen nicht eines Tages ein Embryo geklont werde, ergänzt Denker. Zumal IPS-Zellen weltweit gelagert, gehandelt und verbreitet werden.
„Irgendwo auf der Erde” – das kann auch nebenan sein. Belgische Wissenschaftler haben bereits vorgeschlagen, Embryonen zu klonen, um dadurch die Erfolgsrate bei künstlichen Befruchtungen zu erhöhen. Auch über eine zweite Möglichkeit mag die Wissenschaft nicht gern reden: Aus IPS-Zellen lassen sich auch Samen- und Eizellen erzeugen. Diese können in einem Reagenzglas zusammengeführt werden, um einen Klon entstehen zu lassen. Denker: „ Diese Gefahr ist vielen Forschern bewusst, doch sie drücken sich davor, das Thema anzupacken.”
Hoffnung wuchs mit dem Erfolg
Die Hoffnung auf eine moralisch saubere Stammzellforschung wuchs mit den Erfolgen der Wissenschaft, doch „unversehens befinden wir uns wieder mitten in einer Klondebatte”, sagt Denker. Er fordert die Politik auf, die strengen Regeln, die für embryonale Stammzellen gelten, auf IPS-Zellen auszuweiten. Sein Appell: „Zellen herzustellen, aus denen Menschen erzeugt werden können, ist ethisch nicht vertretbar.”