Essen. Verfassungsschützer, Sekteninfo NRW und Handelskammer Dortmund sind beunruhigt: Scientology benutzt Führungskräfte von Unternehmen, um deren Untergebene als Mitglieder zu gewinnen. Und nistet sich in den Firmen ein, um an Geld zu kommen.

Am Ende der Unterredung wurde der Chef dann deutlich. „Man spreche hier eine gemeinsame Sprache, sagte er dem Auszubildenden. Dann forderte er ihn auf, das Buch ,Dianetik' des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard zu lesen. Als sich der Azubi weigerte, wurde der Chef noch deutlicher. Du bist unser Feind im Team, sagte er.”

Sabine Riede, Leiterin der Beratungsstelle Sekten-Info NRW, erzählt diese Geschichte. Sie nennt keine Namen. Ihre Erkenntnisse alarmieren Verfassungsschützer, Vertreter von Industrie- und Handelskammern, Abgeordnete des NRW-Landtags. Nun warnen sie gemeinsam: Die Scientology-Organisation hat in NRW die Wirtschaft infiltriert, benutzt Führungskräfte, um deren Untergebene als Mitglieder zu gewinnen. Es geht ums Missionieren und darum, Geld zu machen, sagt Marc Ratajczak, sektenpolitischer Sprecher der CDU im NRW-Landtag.

Im Visier: die Firmen

Sekteninfo NRW berichtet von 15 Unternehmen in NRW, in denen Mitarbeiter von Scientologen wiederholt und massiv unter Druck gesetzt worden sind. Die Vorfälle hätten sich in Unternehmen verschiedener Branchen ereignet: Immobilien, Kreditvergabe, Druckereien, Spielwaren, Geschenkartikel. Auch Handwerksbetriebe seien darunter, sagt Sabine Riede.

Das Wirken von Scientology habe insbesondere in kleineren, mittelständischen Unternehmen ohne Mitarbeitervertretung Erfolg, so Experten. Marc Ratajczak berichtet von dem Fall eines jungen Auszubildenden, der bei einem Düsseldorfer Immobilienhändler beschäftigt gewesen sei. Der Geschäftsführer habe ihn dazu zwingen wollen, Scientology-Seminare zu besuchen. Immer wieder habe er insistiert. „Der Auszubildende hat schließlich die IHK um Hilfe gebeten. Man hat ihm eine neue Lehrstelle besorgt.”

Das Vehikel: die Macht

Die Anwerbeversuche richteten sich meist gegen Untergebene, sagt Sabine Riede. „Die Möglichkeit, am Arbeitsplatz Macht auszuüben, ist das Vehikel.” Auszubildende könnten besonders leicht unter Druck gesetzt werden. Denn: „Nur die Mutigsten entscheiden sich, direkt zu Beginn ihrer Arbeitskarriere eine Ausbildung abzubrechen.”

In Betrieben, in denen ein Teil der Belegschaft zu Scientology gehöre, würden „Abtrünnige” durch Spitzeldienste unter Druck gesetzt, hören die Berater von Betroffenen. Es sind übliche Mobbing-Methoden, sagt Sabine Riede: „Äußerungen wurden dem Chef zugetragen, E-Mails und Rechner überwacht. Dadurch entstand ein Klima der Angst.”

Die Masche: Coaching

Das Einfallstor ist die Sprache, sagen Beobachter. Kommunikations-Kurse und Persönlichkeitstraining seien typische Situationen, in denen Anwerbeversuche gestartet würden, berichtet Sabine Riede. Ihr Beispiel: „Der Chef verordne betriebsinterne Weiterbildungen, die sich als spezielle Kurse von Scientology-Organisationen entpuppen. Die Anbieter sind uns namentlich bekannt, in den Kursen fallen typische Sätze, oder wir erkennen es an den Titeln der Bücher.” Teilnehmer der Kurse hätten berichtet, dass sie sich in die Augen schauen sollten, ohne dabei eine Regung zu zeigen. „Das Training dauert so lange, bis der Scientologe meint, das Ziel sei erreicht.”

Wer sich entziehe, würde unter Druck gesetzt. Riede: „Wer keinen weiteren Kurs wollte, wurde im Betrieb mit Missachtung bestraft. Wer sich positiv äußerte, wurde mit Gehaltserhöhungen belohnt.”

Das Motiv: Geld

Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes stehen in NRW kommerzielle Aktivitäten der Organisation im Vordergrund. Die Staatsschützer warnen: Scientology erschließt sich Geldquellen. Kurse für Einsteiger kosteten einige hundert Euro, für höhere Stufen könnten fünfstellige Beträge verlangt werden. Dirk Ritter-Dausend, Scientology-Experte im NRW-Innenministerium: „Wenn es der Organisation gelingen sollte, mit einem Unternehmen enge Verbindungen aufzubauen oder es sogar zu unterwandern, ist das bei Bekanntwerden mit hohen Reputationsschäden verbunden. Das kann schlimmstenfalls zur Insolvenz des Unternehmens führen.”

„Jede Menge Geld”

Die Industrie- und Handelskammer zu Dortmund nennt Fall einer Dortmunder Bäckerei, die Insolvenz anmelden musste. „Aus dem Unternehmen wurde jede Menge Geld gezogen”, sagt Sprecher Georg Schulte. Auch Sekteninfo NRW berichtet von Finanzströmen. Sabine Riede: „Mir ist ein Fall bekannt, bei dem ein Firmenchef regelmäßig 18 Prozent seines Gewinns an Scientology gespendet hatte.”