Essen. Mit der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 begann die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Diese Geschichte spiegelt die "Suche nach Sicherheit" wider - so heißt das Buch des Marburger Zeithistorikers Eckart Conze, über das das Buchmagazin "Lesart-Spezial" diskutierte.

In diesen Tagen, da mit äußerem Gepränge oder innerer Nachdenklichkeit an die Basis dieser Republik erinnert wird, stimmen alle überein: Was die Schöpfer der Verfassung antrieb, war vor allem die Entschlossenheit – nie wieder Barbarei auf deutschem Boden. Das Grundgesetz wurde zum politischen, juristischen und moralischen Boden dafür.

In diesen Tagen lässt es sich aber auch trefflich reiben an diesem Werk und lassen sich weitere Triebkräfte ableiten. Darauf versteht sich der Marburger Zeithistoriker Eckart Conze; er sieht eine tief verankerte Sehnsucht nach Sicherheit als „Leitperspektive” der sechs Jahrzehnte deutscher Nachkriegsgeschichte und auch die Verfassung sei vom Streben danach überwölkt.

Seine These rückte ins Zentrum des Publikuminteresses bei der Radioaufzeichnung des politischen Buchmagazins „Lesart” aus dem Cafe Central des Essener Grillo-Theaters. Denn sie hat den Charme kollektiver Erfahrung: Die beiden opferreichen Weltkriege, die Armut, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit der Massen zu Zeiten der großen Rezession in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts legen eine fast existenzielle Suche nach staatlicher Geborgenheit nahe.

Dennoch ist Conzes beinah sozialromantische Interpretation der „deutschen Mentalität” samt ihrer Verfassung nicht jedermanns Sache. Manchem, der hier mitdiskutiert, geht sie zu stark in die Richtung, die spottende Angelsachsen mit der deutschen-kritischen Chiffre „german disease” belegten, womit sie die „deutsche Krankheit” meinen, die Angst vor der Zukunft und vor jedweder Veränderung.

Noch schroffer fällt die Kritik an Conzes Verfassungsauslegung aus, weil er den „Freiheitsgedanken des Grundgesetzes” unterschätze. Und in derlei Kritik ist ein ordentliches Maß Pathos zu spüren, der in diesen Jubiläumstagen das Verfassungsgedenken umgibt. Es fällt dem Marburger Professor nicht leicht jeden davon zu überzeugen, dass soziale Sicherheit kein Gegensatz zu Freiheit sein muss.

„Lesart Spezial” ist eine Veranstaltung von: Deutschlandradio Kultur, Kulturwissenschaftliches Institut Essen und Buchhandlung Proust. Medienpartner ist die WAZ. Die Aufzeichnung läuft Sonntag, 12.30 bis 13 Uhr.