Essen. Um sich selbst schön zu finden, wagen zwei junge Frauen mit reichlich Pfunden den Gang auf den Catwalk. Ihr Ziel: mehr Selbstbewusstsein und ein Schönheitsideal, das auch Kurven zulässt.
Die Welt gehört den Dünnen. Das gilt natürlich besonders für das Show-Geschäft, in dem Menschen wie Victoria Beckham oder Kate Moss Maßstäbe setzen, die auch außerhalb der Glamour-Welt ihre Wirkung zeigen: Frauen mögen ihre Rundungen nicht. Nur langsam scheint die Vorherrschaft der Hungerhaken einzuknicken: Rosa Damen wie Cindy aus Marzahn oder die Wuchtbrumme Beth Ditto, Sängerin der US-Rockband „The Gossip”, blasen zum Sturm gegen die Dürren. Doch ob diese Anti-Typen das Selbstbewusstsein der Moppeligen heben?
Hauptsache dick im Geschäft
Ja. Denn egal, wie sie aussehen. Hauptsache ist, dass auch dicke Frauen dick im Geschäft sind. Finden Sabine und Nastasja – beide in der Hundertkilo-Klasse – und selbst die Schere im Kopf: Nur dünne Mädchen kommen in den Himmel. Doch jetzt werten sie ihre Reize um: Hüftgold! Nicht Problemzone! Und suchen beim Model-Wettbewerb des Starke-Mode-Labels Ulla Popken den Laufsteg im Internet. Am Ende winkt einer der 73 Traumfrauen XL ein Modelvertrag.
Es quälen sie Speck wie auch Komplexe
Sabine Graf aus Berlin ist 25 Jahre alt. Es quälen sie: der Speck und die Komplexe. Noch haben Dicke es rundherum schwer. Sagt auch Nastasja Gnauck. Beide gehören zu der einen Million Molligen in Deutschland, die „nix zum Anziehen finden”. Ab Größe 46 sei alles schnell weg, ab 50 ginge gar nichts mehr. Am meisten aber nerven die Dünnen. „Ich schäme mich, wenn ich esse”, sagt Sabine Graf. Wegen der Kommentare: Von nix kommt nix.
Sabine und Nastasja sagen, dass dickere Frauen toll aussehen können. Schwärmen vom Runden, um dann doch beim Eckigen zu landen: Denn sie lieben Heidis Klum-Show. Das muss ja zum Konflikt führen. Kein Rundum-Sorglos-Paket also. Im Gegenteil. Nie würde Sabine ins Schwimmbad gehen. „Nee. Das tue ich mir nicht an.”
Beide Frauen sind Singles. Sabine sagt: „Es sind nicht die Männer, die uns nicht haben wollen. Es ist so, dass wir uns nicht wohl fühlen. Das strahlen wir aus.” Regelrecht panisch werde sie, sagt Sabine, wenn ein gut aussehender Mann sie anflirtet, weil sie sofort denkt: „Der will doch sowieso nur ein Püppchen.” Zeit, dass sich was ändert.
Pralle Auftritte der Anti-Typen
Beth Ditto, Cindy aus Marzahn – diese prallen Auftritte helfen. Auch Werbung, bei der sich füllige Mädels mit Bodylotion eincremen, sei Balsam fürs Selbstbewusstsein: Glücklich sein, so, wie man ist – das wäre doch was.
Aber Sabine und Nastasja wollen mehr. Sie wollen dafür kämpfen, dass dick auch schön ist. Obwohl sie sich mit hundert Kilo eigentlich so schön gar nicht finden. Was zu viel ist, ist zu viel. Ihr Wohlfühlgewicht liegt bei 85 Kilo. Doch wie sollen sie sie erreichen? Zusammen haben sie in all den Diäten schon 80 Kilo ab- und wieder zu genommen.
Das ständige Denken, was esse ich und wieviel – es beschäftigt sie wie die Dünnen. Wie entkommt man der Hölle aus Lakritz und Personenwaage? Vielleicht könnte es helfen, andere Prioritäten zu setzen? Nastasja, gelernte Hotelfachfrau, will Wirtschaft studieren. Da kommt man auf andere Gedanken. Doch was dann? Karriere, das sagt die Statistik, machen die Dünnen.
Sabine ist Musical-Darstellerin. Da ist die Fülle im Weg. „Bei Les Misérables könnten gut viele starke Frauen mitspielen. Aber oft nehmen die lieber Dünne, die sie auf dick schminken.” Manch einer habe ihr sogar geraten: Wenn du was isst, kannst du es ja hinterher wieder ausspucken.
Das wäre das Letzte, sagt Sabine, die dann doch lieber zu ihren 100 Kilo steht. Jetzt umso mehr, denn für sie ist der Weg über den Laufsteg auch der Weg zu sich selbst. „Jetzt habe ich wieder das Gefühl, schön zu sein.”