Düsseldorf. Gülsen Celebi arbeitet als Rechtsanwältin in Düsseldorf. In erster Linie vertritt die Deutsch-Kurdin Frauen, die von Gewalt durch die eigene Familie bedroht sind. Mit Rusen Tayfur sprach sie über Morde, die mit Ehre nichts zu tun haben.
Was sagen Sie dazu, dass auch Gülsüms Vater als Drahtzieher angeklagt ist?
Gülsen Celebi: Ich finde, das ist ein richtiges Zeichen, dass der Vater auch mit im Gefängnis ist, wenn es Anzeichen für eine Tatbeteiligung gibt. Es spricht sehr viel dafür, dass er zumindest von der Tat gewusst hat. Es geht ja letztendlich um die Familienehre und somit auch um die Ehre des Vaters. Ich bin mir sicher, dass die Familie alles versucht hat, um die Freiheit von Gülsüm einzuschränken. Und somit sind sie auch mitschuld.
Gülsüm hätte den Absprung von ihrer Familie fast geschafft. Ein Jahr lang war sie in Mülheim untergetaucht, dann hatte sie Heimweh und kehrte zurück nach Rees. Kommt das oft vor?
Das Problem ist, dass viele Mädchen zurückkehren, weil sie wissen, dass sie keinen angemessenen Schutz bekommen. Und sie glauben, wenn sie zurückkehren, wird ihnen verziehen. Manchmal wird ihnen aber nicht verziehen.
Behörden und Beratungsstellen hatten sich um Gülsüm gekümmert. Ist es überhaupt möglich, einem Mädchen wie ihr zu helfen?
Wenn jemand sich vornimmt, jemanden umzubringen, dann bringt er ihn auch um. Ich denke, dass die jungen Mädchen das auch irgendwann fühlen, dass sie nicht genügend in diesem Land geschützt werden. Ich finde, man sollte in dem Moment die Familienangehörigen für eine kurze Zeit in Haft nehmen, wenn man von jungen Mädchen erfährt, dass ihr Leben in Gefahr ist. Es müssen dann mit den Familienangehörigen Präventionsgespräche stattfinden. Ihnen muss bewusst werden, dass sie unter Generalverdacht stehen, wenn der Tochter etwas zustößt. Prävention ist der beste Schutz. Oft denken ja Familienangehörige, dass sie in irgendeiner Weise ungeschoren davonkommen. Wenn früh genug in die Familien eingewirkt wird, kann ihnen auch bewusst gemacht werden, was für Folgen ihr Handeln hat. Ich habe manchmal das Gefühl, sie kennen die Folgen nicht. Oft werden Ehrenmorde wie ein Unfall dargestellt oder wie ein Selbstmord oder wie ein Raubüberfall. Und die glauben wirklich, vielleicht haben wir Glück und es kommt nicht raus, dass wir es waren.
Welchen Rat geben Sie?
Wir sagen den Frauen, dass sie nicht stillhalten sollen und sich Hilfen holen sollen. Sie können das nicht alleine meistern. Es bringt nichts, dass sie zurück in die Familien gehen und weiterhin ein eigenes Leben führen wollen. Das wird man ihnen nicht gewähren.
Sind Ehrenmorde typisch türkisch?
Man darf nicht pauschalisieren. So etwas kann überall stattfinden. So etwas findet auch in Süditalien statt, in Griechenland und in Südamerika. Ehrenmord ist kein islamisches Problem, kein türkisches Problem. Es ist ein Menschenproblem. Ich denke, dass Aufklärung viel dazu beitragen wird, dass in Zukunft solche Morde immer weniger werden.
Hat ihre Anzahl denn zugenommen?
Ehrenmorde gab es immer, wir nehmen sie nur mehr wahr. Wir schauen hin, wir wollen nicht mehr schweigen. Ich selbst will alles dafür tun, dass das publik gemacht wird. Ich will nicht, dass diese Frauen vergessen werden. Ich bin nicht bereit, das hinzunehmen. Und auch die betroffenen Familien sollen wissen, dass jeder Fall geahndet wird.
Die Täter begründen ihre Tat mit ihrer Kultur. Auch Gülsüm soll "nach traditionellen kurdischen Regeln" erzogen worden sein und die Staatsanwaltschaft hat ein ethnologisch-psychologisches Gutachten erstellen lassen.
Ethnologische Gründe dürfen nicht dafür herhalten, dass Morde auf einmal verständlich gemacht werden. Es gibt kein Verständnis für Morde. Mord ist Mord, egal, unter welchen niederen Beweggründen er entsteht. Ich stamme auch aus einer kurdischen Familie, ich kenne solche Regeln nicht. Das sind faule Ausreden. Es gibt die Menschenrechtskonvention, nach der arbeiten wir und nach der sollten auch alle leben. Alles andere ist zweitrangig. Abgesehen davon gibt es keine kurdische Regel, die besagt, dass man seine Tochter umbringen soll.
Was sind denn dann die Gründe?
Die Hauptursache ist natürlich das Patriarchat. Es ist eine Männergesellschaft, die bestimmt - und Frauen auch zum Werkzeug ihrer Taten macht. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Frauen die eigentlichen Täter schützen, weil sie dementsprechend erzogen worden sind. Ich denke, dass mit der Zeit auch diese Frauen ein anderes Denken anstreben werden und merken werden, dass sie als vollwertiger Mensch in dieser Gesellschaft ankommen müssen. Und dass es nicht ihre Schuld ist, dass sie als Frau auf die Welt gekommen sind und deswegen alles machen müssen, was die Männer ihnen auftragen. Ich bin guter Hoffnung, ich gehe davon aus, dass diese Spezies von Mensch bald ausstirbt. Meine Hoffnung liegt in der Bildung, sonst nirgendwo. Das, was fehlt, ist Aufklärung, Bildung. Mein Gegenüber kann mich nur als vollwertigen Menschen annehmen, wenn er das als Wert gelernt hat. Deswegen müssen wir sehr viel Geld in Bildung stecken.
Was unterscheidet eigentlich einen türkischen „Ehrenmord” von einer deutschen Beziehungstat?
Bei einer Beziehungstat muss die Frau nur vor ihrem Mann Angst haben, beim Ehrenmord muss sie vor der ganzen Familie flüchten. Wir können den Ehemann festnehmen und dann ist der Täter weg. Beim Ehrenmord müssten wir unendlich viele Menschen festnehmen. Das ist ein gemeinsam begangener Mord, den man natürlich nicht immer beweisen kann.
Gülsüms Gesicht wurde grausam zugerichtet, mit Absicht?
In einigen Ländern gibt es die Aussage, dass man der Frau so die Schönheit wegnimmt. Das passiert oft in Indien oder in Pakistan. Man nimmt der Frau das Letzte, was sie hat, ihre Schönheit. Und ihre Schönheit gefährdet ja auch die Ehre.
Mit wievielen „Ehrenmord”-Fällen haben sie zu tun?
Im Schnitt meldet sich im Monat ein junges Mädchen, der wir dann bei der Flucht helfen. Doch fast täglich haben wir Frauen da, die Gewalt ausgesetzt sind, die wir in ein Frauenhaus schicken, die wir vor ihren Ehemännern schützen müssen. Gülsüm ist leider kein Einzelfall. Man kann davon ausgehen, dass die Zahl der jungen Mädchen, die sich bei uns nicht melden, um ein vielfaches höher ist. Der größte Teil der Frauen hat keine Ahnung, dass sie Hilfe bekommen können.
Aber es gibt doch Beratungsstellen?
Es gibt ganz viele Vereine und Personen, die sich für diese jungen Frauen einsetzen. Das Problem ist, dass sie diese Stellen nicht kennen. Deswegen ist die Präventionsarbeit so wichtig. Junge Frauen müssen wissen, wo sie sich hinwenden können und müssen auch das Gefühl haben, dass sie beschützt werden. Das ist die Hauptaufgabe dieser Gesellschaft, den Frauen zu zeigen, wir stehen hinter euch, habt den Mut, meldet euch, wir stehen euch bei. Ich denke, dass man bereits in den Schulen damit anfangen muss, die Mädchen aufzuklären