Essen. Weitere Spekulationen gibt es um den Mann, der den Tod seiner Tochter Gülsüm befohlen haben soll. Er könnte auch vor 13 Jahren seine kranke Frau umgebracht oder in den Selbstmord getrieben haben. Doch die Polizei ermittelt nicht noch einmal: "Absolut eindeutiger Suizid", heißt es.
Abends noch sitzen die Ermittler zusammen, Polizisten, die Staatsanwältin, und wälzen fast 13 Jahre alte Akten. Es sind Akten zu einem Todesfall im Park des St.-Agnes-Krankenhauses in Bocholt im Kreis Borken: Hier brachte die 34-jährige Gazali S. sich am 29. Juni 1996 um.
Gazali S. war die Mutter von Gülsüm S. (20), der jungen Kurdin aus Rees, die jetzt im März ermordet wurde, weil sie keine Jungfrau mehr war; als Verdächtige sitzen ihr geständiger Drillingsbruder Davut S. in U-Haft, ein Bekannter von ihm und (wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord) ihr Vater Yussuf S., der bestreitet, irgendwas gewusst zu haben.
Ermittler wälzen Akten
Die 13 Jahre alten Akten kommen am Wochenende wieder auf den Tisch, weil manches rätselhaft ist am Tod der Mutter; und weil die Polizei das lieber noch mal überprüft, wenn sie im Fall Gülsüm schon den Vater für denjenigen hält, der den Mord befahl. Auch hat sie sich mit der Spekulation einiger Medien zu befassen, Yussuf S. könne damals seine Frau Gazali in den Tod getrieben oder gar ermordet haben.
Denn rätselhaft an ihrem Tod sind vor allem zwei Punkte: So erinnert sich Andreas Mai, der Leiter des Sozialamtes der Stadt Rees, im WDR daran, Kinder der Familie S. hätten nach dem Tod ihrer Mutter Mitarbeitern der Stadt erzählt, der Vater habe seine schwer kranke Frau zum Selbstmord gedrängt. Sie erfülle ihre Aufgaben als Ehefrau nicht mehr komplett.
"Keine neuen Ermittlungen"
Und der mysteriöse Punkt zwei: Mai meint, Yussuf S. habe der Stadt den Tod seiner Frau gemeldet, als sie noch lebte; in Wahrheit sei sie aber erst einen Tag später gestorben.
Im Gespräch mit der WAZ hört sich Mai etwas anders an: "Die Kinder waren damals noch sehr klein", sagt er: "Man konnte schon heraushören, dass der Papa das von der Mama gefordert hat. Das kommt der Wahrheit wohl nah." Und die vorzeitige Tot-Meldung? Mai war damals, vor 13 Jahren, selbst noch gar nicht im Sozialamt, es gibt auch nichts Schriftliches dazu, aber der Vorgang war so sensationell, "das war in drei Tagen rum, das habe ich von Kollegen gehört."
Blankes Hörensagen also, ebenso wie halb Rees wissen will, Gazali S. sei im Krankenhausteich ertrunken/ertränkt worden. Auch das ist falsch. Und so kommen die Borkener Polizei, die Mordkommission Gülsüm aus Krefeld und die Staatsanwaltschaft zu einem ganz anderen Schluss: „Es ist nichts dran, es gibt keine neuen Ermittlungen in dieser Sache", sagt Paul Bußhoff, der Polizeisprecher in Borken.
Sich selbst mit dem Handtuch erwürgt
Von einem „absolut eindeutigen Suizid” spricht Bußhoff, Gazali S. habe sich selbst gegen 13.15 Uhr im Park des Krankenhauses mit einem Halstuch erwürgt: „Das geht.”
Die Frau habe Lungenkrebs gehabt, sei verzweifelt gewesen und habe schon zuvor angedeutet, sie wolle sich umbringen. In dem WDR-Beitrag äußert sich auch eine Tochter von Yussuf und Gazali S. über die Türsprechanlage entsprechend, in etwa so: Die Spekulationen „stimmen nicht . . . Ich weiß, dass sie normal verstorben ist . . . Wir sind alle fertig.”
Fertig wegen Gülsüm natürlich, die in diesem typischen Konflikt lebte: Sie wollte für sich die Freiheiten einer Deutschen, doch der Vater und der Bruder legten die Maßstäbe der kurdischen Berge an. Zeitweise allein lebend, keine Jungfrau mehr, ein albanischer Freund – das reichte wohl für das familiäre Todesurteil.
Vater soll gewalttätig gewesen sein
Der Vater soll bereits vor Jahren ausgesprochen gewalttätig in seiner Familie aufgetreten sein. Die Gewalt in der Familie war nur wenigen bekannt, denn er trat in Schulen und bei Behörden als treu sorgender, besorgter Vater auf, der sich auch um das schulische Weiterkommen seiner Mädchen bemühte.
Amtsgang nach Mordtat
Nach der brutalen Tat vom 2. März muss sich Gülsüms Drillingsbruder Davut absolut sicher gefühlt haben. Denn nachdem die Leiche seiner Schwester auf Wunsch der Familie in die Türkei geflogen und in Ostanatolien begraben worden war, kehrte er nach Deutschland zurück – und sprach am vergangenen Montag bei der Stadtverwaltung vor, um einen Antrag auf Erstattung der Beerdigungskosten einzureichen . . .