Andreas Stiene ist schwul - und engagierter Bekämpfer der im deutschen Fußball vorherrschenden Homophobie.Er weiß, dass sich mancher homosexuelle Bundesliga-Profi aus Angst vor dem Outing mit Frau und Familie tarnt

Liebt den Fußball - und Männer: der Wahl-Kölner Andreas Stiene. Foto: privat
Liebt den Fußball - und Männer: der Wahl-Kölner Andreas Stiene. Foto: privat © WAZ

Essen. Schwule Profi-Fußballer? Gibt's nicht! Denkt der geneigte Sportschau-Gucker. Der verfolgt die kickende Elite jeden Samstag mehr oder minder intensiv im TV, hat dort in viereinhalb Jahrzehnten Bundesliga-Existenz bislang aber noch kein einziges öffentliches Bekenntnis eines Stars zu seiner Homosexualität zu sehen bekommen. "Es gibt aber natürlich welche", sagt Andreas Stiene. Der 43-Jährige muss es wissen. Schließlich kennt er die Szene. Er liebt den Fußball.

Und Männer.

Andreas Stiene ist Gründer und Initiator von "Andersrum Rut-Wiess", einem seit November 2007 wirkenden Fanclub des 1. FC Köln, in dem mittlerweile 240 Anhänger des Traditionsvereins organisiert sind. Alle sind lesbisch oder schwul. Andersrum eben. Andreas Stiene ist gleichzeitig der Erfinder des "Come-Together-Cups" - ein Turnier für schwule und nicht-schwule Fußballer, das seit 1995 jährlich ausgetragen wird. Zunächst nur in der Homosexuellen-Hochburg Köln. Seit 2000 gibt's aber auch einen Turnierableger in Essen. Der nächste steigt am Sonntag, 17. August (Schillerwiese).

Essen ist übrigens auch Stienes Heimat. Im Stadtteil Schonnebeck - nur einen Einwurf vom heutigen Weltkulturerbe Zeche Zollverein entfernt - ist er geboren und aufgewachsen. Bei der ESG 99/06 erlernte er (genau wie der etwas jüngere und heutige Nationalelf-Teammanager Oliver Bierhoff) das Fußballspielen. Hier begann er im Alter von nur 16 Jahren seine Ausbildung zum Polizisten. Und in Essen lernte er auch seinen ersten Partner kennen. Da war er 18 und bemerkte, dass ihm Männer tatsächlich besser gefallen als Frauen. Es war nicht länger nur ein Bauchgefühl.

Sondern Gewissheit.

Diese Erkenntnis behielt er aber für sich. Vor allem im Kreis seiner Fußball-Kollegen (Stiene war ein robuster Amateur-Kicker und spielte bis zur Landesliga) verstellte er sich. "Ich habe am lautesten über Schwulenwitze gelacht oder sogar selbst welche gemacht, weil ich testen wollte, wie die Kollegen reagieren", erzählt er. Doch stets plagten ihn Ängste, dass sein Geheimnis auffliegen könnte, dass dann hinter seinem Rücken getuschelt würde, dass er im Team ausgegrenzt würde. "Deshalb habe ich lieber eine Art zweites Leben geführt. Dabei habe ich nicht nur anderen etwas vorgemacht, sondern vor allem mir selbst", weiß er heute.

Auch deshalb verließ er Anfang der 90er die Heimat, zog nach Köln und tauschte sein berufliches Dasein als Kommissar beim Landeskriminalamt in Düsseldorf gegen einen Posten als Immobilienmakler. Doch es dauerte auch in neuer Umgebung noch etwas, bis er die innere Verkrampfung endlich ablegen konnte - und sich mit 30 outete! "Als meine alten Mitspieler in Essen davon erfuhren, waren alle perplex. Keiner, wirklich keiner hatte den leisesten Verdacht. Und es war schön, dass keiner dumme Sprüche gemacht hat", beschreibt Stiene die Erleichterung, die er verspürte.

Warum tut sich in deutlich toleranteren Zeiten wie diesen die Gruppe der homosexuellen Profikicker dann aber so schwer, den gleichen Schritt zu gehen? "Viele haben Angst vor den Reaktionen der Teamkollegen und der Zuschauer im Stadion. Gerade gegnerische Fans würden einen bekennenden Schwulen wohl als willkommene Angriffsfläche für Beschimpfungen oder Schmähungen nutzen", vermutet Stiene. Deshalb zöge es jeder schwule Erst- oder Zweitligaprofi noch vor, sich aus Tarnungs-Gründen mit Frau und Familie zu umgeben. "Auf Dauer ist das nicht nur kraftraubend, sondern grenzt an Selbstverachtung", weiß Stiene aus eigener Erfahrung.

Er glaubt, dass spätestens innerhalb der nächsten fünf Jahre das erste Outing eines Fußball-Stars folgen wird. "Und wir wollen mit unserem Turnier, dem Fanclub und allen anderen Aktivitäten einen kleinen Teil dazu beitragen, dass ein Umfeld geschaffen wird, in dem das Outing eines schwulen Fußballprofis problemlos möglich ist." Natürlich würde ihn jeder nach Namen fragen. Doch ein Zwangs-Outing durch einen Dritten sei das Allerletzte: "Die Entscheidung, ob und wann jemand an die Öffentlichkeit tritt, muss jeder für sich selbst treffen."