Berlin. Nach seinen umstrittenen Aussagen über Migranten in Berlin droht Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin erneut der Rauswurf aus der SPD.
Der Berliner SPD-Kreisverband Spandau und der Ortsverband Alt-Pankow haben ein Gutachten in Auftrag gegeben, das dem ehemaligen Berliner Finanzsenator Rassismus vorwirft. Damit wollen sie erreichen, dass die Landesschiedskommission den 64-Jährigen aus der Partei ausschließt. Sarrazin hatte im Oktober in der Literaturzeitschrift „Lettre International” behauptet, viele Türken und Araber hätten in Berlin „keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel.”
Sarrazins Einlassungen seien „eindeutig als rassistisch zu betrachten”, urteilt der Potsdamer Extremismusforscher Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum (MMZ) in seiner 21-seitigen Studie, die dieser Zeitung vorliegt. Sarrazins Äußerungen dienten „der bewusst als Tabubruch inszenierten Konstruktion und Mobilisierung von Vorurteilen.” Die „höchste Radikalität” im Interview schreibt Botsch folgender Aussage zu: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt und ständig neue Kopftuchmädchen produziert.” Dies ziehe eine Logik nach sich, „die tendenziell auf physische Elimination dieser nicht anzuerkennenden Bevölkerungsgruppen aus der Berliner Stadtgesellschaft hinausläuft”, sagt der Politikwissenschaftler des MMZ, das vor allem Grundlagenforschung über die Geschichte, Kultur und Religion der Juden betreibt.
Mit seinem Interview hatte Sarrazin im Herbst für viel Unmut gesorgt, auch bei der Bundesbank. Vorstandschef Axel Weber distanzierte sich demonstrativ von dem SPD-Politiker, indem er ihn in Teilen entmachtete. Damals musste Sarrazin das Aufgabengebiet Bargeld abgeben.
Die SPD-Verbände in Spandau und Alt-Pankow leiteten ein Parteiausschlussverfahren ein und scheiterten damit zunächst vor der Kreisschiedskommission. „Herr Sarrazins Aussagen sind antidemokratisch, rassistisch, elitär und herabwürdigend”, sagte der Kreisvorsitzende der SPD Spandau, Raed Saleh, dieser Zeitung. Er spreche Migranten die Fähigkeit und den Willen zur Integration ab. „Damit hat Sarrazin den Grundgesetzartikel 'Die Würde des Menschen ist unantastbar' hunderttausendfach gebrochen”, sagte Saleh weiter.
Kein Kommentar
von der Bundes-SPD
Sowohl die Bundes-SPD als auch die Parteispitze der Berliner Sozialdemokraten wollten sich gestern auf Nachfrage zum Gutachten nicht äußern. Es handle sich um ein laufendes Verfahren, begründete eine Sprecherin das Schweigen der Landes-SPD.
Auch Sarrazin nahm gestern keine Stellung zum Thema. Eine neue politische Heimat will der 64-Jährige offenbar nicht suchen. Notfalls werde er den drohenden Rauswurf verhindern, indem er durch alle Parteiinstanzen gehe, sagte Sarrazin jüngst der „Berliner Morgenpost.”