Jennifer Dörk haucht toten Tieren Leben ein – auf den ersten Blick zumindest.
Die blutige Ware kommt in blauen Säcken, blickdicht verpackt. Nun muss alles schnell gehen, der Tod bringt Verwesung, ein paar Tage nur bleiben, um die Kreatur zu bewahren, vor Verfall, dem Verschwinden. In Latex gekleidete Finger greifen nach dem toten Knäuel, packen es aus. Der Blick des Fuchses geht stumpf gen Himmel, als das Skalpell in sein Fleisch dringt. Blut fließt nicht.
Jennifer Dörk wollte Medizin studieren, doch das ist Jahre her. Ein Praktikum brachte die Wende, führte die junge Frau weg von den Menschen und hin zu den Tieren, toten Tieren, denen sie wieder Leben einhaucht, zumindest ein wenig, auf den ersten Blick. Sie zieren die Waltroper Werkstatt der Tierpräparatorin: Ein Fuchs mit stolzem Blick, ein vorwitziger Marder mit glän-zendem Fell – und mehrere Meerschweinchen, Wellensittiche, Kaninchen.
„Das sind . . . waren einmal Haustiere”, sagt sie, während sie mit geübtem Griff dem toten Fuchs das Fell über die Ohren zieht. Ein muffiger Geruch erfüllt die Luft. „Haustiere riechen noch schlimmer”, sagt Jennifer Dörk.
Die erklärte Tierfreundin kennt den Unterschied, weiß sehr wohl, dass das vor ihr auf dem Tisch eine Trophäe ist, Beute. „Bei Haustieren ist die Arbeit schon ein wenig anders; emotionaler.” Große Unterschiede gebe es da, in der Präparation von Tieren, die einst Gefährten des Menschen waren – mit einem Namen.
„Am Anfang steht meist ein langes Gespräch, ich versuche etwas über den Charakter, das Wesen des Tieres zu erfahren, um es bei der Präparation möglichst genau zu treffen. Fotos sind da sehr wichtig”, sagt die 31-Jährige. „Außerdem wollen die Besitzer meist ganz genau wissen, was wir mit ihrem Tier, oder besser: mit ihrem Freund machen. Das ist verständlich, aber natürlich sehr zeitintensiv.”
Auf den ersten Blick wirkt Jennifer Dörk streng. Das dunkle Haar trägt sie straff zurückgebunden, der Blick ist fokussiert. Dann kommt ihr kleiner Hund Nico angerannt und stiehlt dem toten Tier die Show. „Nein”, wiegelt sie entschieden ab. „Nico käme mir nicht auf den Tisch: Das ist Familie. Der wird eines Tages mal begraben werden, wie alle seine Vorgänger auch.”
Verstehen kann sie den Wunsch nach einer „3-D-Fotografie”, wie sie ihre Präparationen gern nennt, trotzdem. Auch wenn sie ihren Kunden stets erklärt, dass ein treuer Blick oder ein fröhliches Bellen nicht zu ersetzen sind. „Doch das wissen meine Kunden auch. Dass ich ihre Tiere nicht wieder lebendig machen kann." Nur den Anschein erwecken eben; wie bei dem mümmelnden Kaninchen, das nicht mehr hoppeln kann, wie beim Meerschweinchen, dessen Haarpracht von besseren, Zeiten kündet. Und auch beim blau-weißen Piepmatz, der gleich einer Voodoo-Puppe von Nadeln durchbohrt auf das Trocknen des Klebstoffs wartet.
Jennifer Dörk mustert den Fuchs mit der klaffenden Schusswunde. „Aus dem hier wird kein Präparat”, erzählt sie. „Der kommt zum Gerber, der Kunde möchte nur das Fell.” Er wird also nicht ausgestopft? Ein böser Blick, eine freundlich-bestimmte Antwort: „Ausstopfen – das machen nur Dilettanten. Wir sind keine Ausstopfer, sondern Präparatoren, arbeiten mit Formen, nicht mit Füllung.”
Sie zeigt auf eine Kiste. Darin künstlich vage Körper von Mardern, Füchsen, Dachsen. „Das sind Standardformen, wir müssen viel umarbeiten, aber es erleichtert die Arbeit. Über den Kunststoff ziehen wir die Haut, modellieren das Gesicht, setzen die Glasaugen ein” – bis die Hülle wieder einem Lebewesen gleicht.
Ein bisschen fühlt sich Jennifer Dörk wie eine Künstlerin, sie arbeitet gern kreativ. So dient ein Waschbär mit Lesebrille bei ihr als Zeitungsständer, die Garderobenhaken sind aus Rehläufen gefertigt, aus toten Mäusen kreiert sie skurrile Lesezeichen in schillernden Neonfarben. Geschmackssache sei das, sicher: „Doch für meine pink lackierten Geweih-Schlüsselbretter hat sich schon die ein oder andere Kundin interessiert. Dagegen schlagen viele Jäger die Hände über dem Kopf zusammen” – und Tierschützer. Die Würde der Tiere sehen sie verletzt, ihre Rechte bei derartiger Nutzung der sterblichen Reste übergangen. „Ich verstehe das nicht”, empört sie sich, „Fleisch essen ist in Ordnung, Lederschuhe tragen auch - warum macht man dann um Tierpräparate so ein Aufheben? Wir töten die Tiere doch nicht. So sind sie zumindest nicht völlig umsonst gestorben.”
Wie der Fuchs. Getötet werden musste er, der Bestand war zu groß. Nun wird aus ihm vielleicht ein Wintermantel, eine Decke, ein Teppich. Jennifer Dörk greift zum Messer, enthauptet das Raubtier, entsorgt den Körper. „Aus den Fangzähnen fertigen wir Bro-schen. Nichts wird verschwendet.” Sorgfältig packt sie das matt-rote Fell in einen Sack, einen durchsichtigen.