Bochum. Im neuen Gerichtslabor der Bochumer Uni üben Jura-Studenten Strategie und Rhetorik für spätere Prozesse. In der ersten Verhandlung ging es um krähende Hähne.
Auf einem Lesezeichen des Bochumer Jura-Professors Peter A. Windel, das ihm der Bochumer Anwaltverein geschenkt hat, steht: „Viel Spaß bei der Theorie.” Auf der Rückseite folgt der Satz: „Aber vergessen Sie die Praxis nicht.” Das hat die Fakultät angespornt: Sie hat jetzt an der Ruhr-Universität ein „Gerichtslabor” gebaut – einen simulierten Gerichtssaal. Dort sollen fast 3000 Studierende trainieren, wie man sich vor dem echten Kadi durchsetzt.
In dem Lehrraum im Untergeschoss ist alles komplett: ein Richterpodest, die Bänke der Kläger und Beklagten, der Zeugenstuhl, die Zuschauersitze. Auch Tisch-Mikros sind installiert. Alles wie in der echten Rechtsprechung. Mit zwei Ausnahmen: An der Wand hängen ein Porträt des Bundespräsidenten und eine Deutschland-Flagge. Und es gibt Kameras; die viele echte Richter scheuen wie die Pest. Anhand der Videos soll der Auftritt der Studierenden im Labor analysiert werden. Denn: Juristen taugen wenig, wenn sie nicht auch zu überzeugen verstehen, wenn sie keine gute Rede führen können – im Haifischbecken Gerichtssaal. „Wir bilden hier kein Wolkenkuckucksheim aus”, stellt Uni-Rektor Elmar Weiler klar. Das Projekt, das laut Ruhr-Uni einmalig in NRW ist, kostete 50 000 Euro – Geld aus Studienbeiträgen.
Bergischer Schlotterkamm im Käfig
Zur Einweihung des Gerichtslabors erschien außer juristischen Honoratioren auch ein Bergischer Schlotterkamm. Mit seiner Hilfe demonstrierte die Fakultät, wie es in Übungsprozessen ablaufen könnte. Der Hahn, hieß es in einer fiktiven Klage, lebe mit 50 Artgenossen direkt neben dem Fakultätsgebäude – und krähe unerträglich. Dekan Martin Burgi mimte den Kläger: „Es ist kein sinnvolles Arbeiten möglich.” Die Schlotterkamm-Zucht müsse weg!
Der beklagte Züchter Sebastian Kral (in Wahrheit Jura-Doktorant) will aber nicht weichen. Seine Zucht sei vor der Uni da gewesen. Das Krähen sei auch nicht irgendein Krähen – sondern das der seltenen Schlotterkamm-Rasse. Es sei „eine Melodie des Lebens, das Resultat der Kultur in Westeuropa. Der Ruf gehört dazu.” Vielleicht lasse sich der Kläger durch eine tägliche Eier-Spende besänftigen? Doch dieser spielt den Gnadenlosen: „Die Wahrheit kennt keine Kompromisse!” Im Übrigen: „Das Beamtenrecht verbietet mir, Geschenke anzunehmen.”
Ein Zeuge betritt den Saal. Jura-Professor Windel: „Beim Ballermann herrscht eine größere Ruhe als an dieser Fakultät!” Doch es gibt auch eine Gegenzeugin. Eine Studentin (21): „Ich verstehe die ganze Aufregung um das Krähen gar nicht. Eine schöne Abwechslung zum Uni-Alltag.”
Professor als Gutachter
Und da ist noch ein Gutachter – im echten Leben Strafrecht-Professor Gereon Wolters. „Es kann sein, dass der Hahn eine Stunde ganz ruhig ist. Etwa, wenn er seiner Notdurft nachgeht.” Dann aber komme es plötzlich wieder zu „Lärm-Paketen”. 65 Dezibel stark. Zivilrechtler würde das stören, Strafrechtler nicht. „Die sind belastbarer, weil sie mehr Blut im Gehirn haben.”
Der Anwalt des Züchters schaltet sich ein, Jürgen Widder (Vorsitzender des Anwaltvereins Bochum): „Es muss möglich sein, dass Hahn und Professor zusammenkommen.” Weil auch der Richter selbst, Landgerichts-Präsident Volker Brüggemann („Der Hahn schlottert ja gar nicht”), einen Vergleich anregt, einigen sich die Parteien: Der Beklagte verkleinert seine Zucht auf vier Hähne – und muss sie von 9 bis 17 Uhr in einem Stall „schalldicht verwahren”. Dann darf er bleiben.