Bangalore. Als Achtjährige wurde Prema Dhanraj selbst ein Opfer des Feuers, ihre Karriere als Plastische Chirurgin ist einzigartig. Heute unterichtet sie als Professorin.
Ihr Selbstbewusstsein ist im wahrsten Sinne des Wortes unerschütterlich. Die Mutter war es, die sie immer wieder antrieb, die sie ermutigte, und irgendwann muss dieses „Ich kann!” zum Leitspruch ihres Lebens geworden sein. Irgendwann nach ihrem achten Geburtstag, nach jenem Tag, an dem sie sich einen Tee kochen wollte und der Kerosinkocher explodierte. Prema Dhanraj verlor in dem Feuer ihr Gesicht, ihr Kinn verschmolz mit dem Oberkörper, der wiederum mit ihren Armen. 28mal wurde sie operiert, schmerzhafte 28 Mal. Heute ist sie selbst Professorin für Plastische Chirurgie.
Ihre Lebensgeschichte hat sie längst zu einer Power-Point-Präsentation verarbeitet. Prema als Kind im Kirchenchor. Prema im Kreis ihrer Familie. Prema als Wissenschaftlerin in den USA und in ihrem eigenen Institut im südindischen Vellore. Doch wer sie erlebt, inmitten ihres Zentrums für Brandverletzte, bei „Agni Raksha”, wer sie beobachtet, wie sie mit den Patienten umgeht, der kommt nicht umhin, in ihr vor allem die leidenschaftliche Medizinerin zu erkennen.
Vom Brandopfer zur Topchirurgin
Prema Dhanraj schaffte eine einzigartige Karriere, vom Brandopfer zur Top-Chirurgin, und mit dem Geld aus ihrem ersten internationalen Preis gründete sie das Projekt „Agni Raksha”, die kleine Organisation, die sich um die Brandopfer ihrer Heimatstadt Bangalore kümmert. „Meine Mutter hat so viel Vertrauen in mich gesetzt, hat so für mich gekämpft. Als sie starb, dachte ich, dass ich das weitergeben muss”, sagt Prema Dhanraj.
Unermüdlich läuft sie an diesem Nachmittag in ihrer Ambulanz von einem Patienten zum nächsten, begutachtet Wunden, empfiehlt Therapien, Salben und hilfreiche Halskrausen. 2001 begründete Prema Dhanraj mit ihrer Schwester Chitra, einer Sozialpädagogin, Agni Raksha. Helfen dort, wo der indische Staat versagt. Nur ein einziges Krankenhaus in Bangalore nimmt Brandopfer auf, akute Fälle. Doch nach spätestens zehn Tagen schickt man sie auch dort wieder nach Haus, bleiben sie sich selbst überlassen. Prema und Chitra Dhanraj suchten ihre Patienten in den armen Vierteln der Stadt, begannen mit ein, zwei Selbsthilfegruppen.
30 Mitarbeiterinnen
Heute verfügt ihr Zentrum über eine Ambulanz und eine eigene Krankenstation, arbeiten für die beiden Frauen neben vier Krankenschwestern weitere 30 Mitarbeiterinnen. Viele dieser Frauen sind selbst Brandopfer. Auch sie wurden vor nicht langer Zeit noch von Agni Raksha betreut. Deren Mitarbeiterinnen pflegten ihre Wunden, päppelten sie psychisch wieder auf, kümmerten sich um ihre Kinder, verhalfen ihnen zu rekonstruierenden Operationen und notfalls auch dazu, finanziell wieder auf die Beine zu kommen.
„Ich weiß, wie Verbrennungsopfer sich fühlen. Ich kenne ihre Schmerzen”, sagt die 59-jährige Chirurgin Prema Dhanraj. Unendlich groß war auch ihr eigenes Leiden. Ein Jahr lang sah sie nicht in den Spiegel, zwei Jahre ging sie nicht zur Schule. Und als sie es wieder wagte, erschraken die Menschen auf der Straße und verhöhnten sie als „Teufel”. „Jede Woche wurden meine Verbände gewechselt, die angetrocknet an den Wunden klebten. Drei Tage vorher, drei Tage nachher weinte ich vor Schmerzen. Es gab keine glücklichen Tage”, erinnert sich Prema Dhanraj.
Von Operation zu Operation
Die ganze Familie, die Eltern, ein Computer-Fachmann und eine Pharmazeutin, richtete fortan ihr Leben nach dem verunglückten Kind. Die Mutter gibt ihren Beruf auf, reist mit ihrer Tochter von Operation zu Operation, während der Vater das Geld verdient, und die kleineren Kinder versorgt. Als es bei einer der ersten Transplantation zu Komplikationen kommt, betet die Mutter, eine Christin, in einer nahen Kapelle, verspricht sie, ihr Kind werde Medizinerin. Wenn nur alles gut gehe. . .! Es geht gut, wenn auch unter Schmerzen. Und Prema kämpft, angefeuert von ihrer Mutter: „Lerne! Du schaffst es! Oder willst Du Dein Leben damit verbringen, für Deine Geschwister zu kochen...?”
1980, tatsächlich, wird sie als Plastische Chirurgin am Lehrstuhl des Universitätskrankenhauses von Vellore eingestellt. Als Mitarbeiterin jenes Professors, der sie vor Jahren operiert hat. 1998 übernimmt sie gar dessen Lehrstuhl. Ihr Spezialgebiet, für das sie schließlich in den USA ausgezeichnet wird, sind Verbrennungen – was auch sonst. Längst hat sie ihre Arbeit in Länder wie Äthiopien, Tansania oder Kenia geführt, bildet sie auch dort aus.
„Agni Raksha” ist Prema Dhanrajs Versuch, dem Leben etwas von dem zurück zu geben, was sie selbst erhalten hat, ja, genießen konnte. Trotz all der Schmerzen, trotz des Leids. Wie auch Chitra, ihre 46-jährige Schwester, will sie den Brandverletzten von Bangalore, den Armen aus den Slums, vermitteln, dass das Feuer nicht das Ende bedeutet. Dass es ein Leben danach gibt.
Niemand konnte helfen
So denkt Prema, so argumentiert auch ihre Schwester Chitra. Als das Unglück über ihre Familie hereingebrochen sei, so Chitra, sei niemand dagewesen, der ihnen geholfen habe. Das sei ihre Triebfeder. Dass sie und ihre Geschwister all die Jahre für Prema auf vieles verzichten mussten, auf die Mutter vor allem, stand nie zwischen ihnen. Im Gegenteil, Agni Raksha ist ihrer beider Projekt. Chitra Dhanraj: „Unsere Mutter hat uns ermahnt: Verletzt Prema nicht, sie ist schon verletzt genug!”
Kindernothilfe, Kontonummer 310 310, BLZ 350 601 90 KD Bank eG, Stichwort: Brandopfer Indien