Berlin/Essen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnt vor Krebs erregenden Chemikalien in Kinderspielzeug. „Es besteht dringender Handlungsbedarf”, stellen die Experten in einem Bericht fest, den sie im Auftrag der Bundesregierung geschrieben haben.
Vor Krebs erregenden Chemikalien in Kinderspielzeug warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Die Forscher hatten Messergebnisse aus allen Bundesländern ausgewertet. Zum Teil übersteigen die in Spielzeug aus Gummi gemessenen gefährlichen Substanzen deutlich den Wert, der noch als unbedenklich gilt. Das BfR verweist in diesem Zusammenhang auf eine „steigende Zahl von Krebserkrankungen” bei Kindern. Die seit einem Jahr gültige EU-Spielzeug-Richtlinie hält das Institut für völlig unzureichend. Verbindliche Grenzwerte gibt es für die gefährlichen Weichmacher, die von Fachleuten als PAK bezeichnet werden, in Europa gar nicht. Laut Bundesinstitut stehen die PAK im „begründeten Verdacht, das Erbgut zu verändern, Krebs zu erzeugen und die Fortpflanzung zu beeinträchtigen.”
"Bei Autoreifen gelten strengere Regeln"
„Kurioserweise sind die Auflagen für PAK in Autoreifen strenger als die für Schadstoffe in Spielzeug”, sagt BfR-Sprecher Jürgen Kundtke zu dieser Zeitung.
Eine der besonders gefährlichen und häufig verwendeten chemischen Mischungen sollte laut Spielzeugrichtlinie nur bis zu einer Konzentration von 100 Milligramm pro Kilogramm im Spielzeug vorhanden sein. „Schon in diesem Fall können Kinder bei einstündigem Hautkontakt ein Vielfaches dessen aufnehmen, was im Rauch von 40 Zigaretten enthalten ist”, warnen Wissenschaftler. In einigen Proben wurden sogar 1000 Milligramm/Kilogramm gefunden.
Dabei sei es heute problemlos möglich, auf die gefährlichen Weichmacher zu verzichten. Viele der beanstandeten Spielzeuge kommen aus China. „Das heißt aber nicht, dass alle Spielsachen aus China gesundheitsgefährdend sind”, unterstreicht Rainer Weiskirchen vom TÜV Rheinland.
Extreme Konzentrationen
Sie lassen Tumore wachsen, sie schädigen das Erbgut und machen unfruchtbar: „Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe” (PAK) sind so gefährlich, dass sie in Kinderspielzeug nichts verloren haben. Aber sie stecken drin. Zum Teil in extremen Konzentrationen.
Verbraucherschützer warnen seit Jahren vor den PAK. „Öko-Test” sprach jüngst von einem wahren „Schadstoff-Cocktail” in Puppen, Rasseln und anderen Baby-Artikeln. Der TÜV Rheinland fand abenteuerlich hohe Giftmengen in Baumarkt-Produkten, und die Grünen erinnerten die Bundesregierung an erhebliche Mängel in der neuen EU-Spielzeugrichtlinie. Der Bund wiederum hat sein Institut für Risikobewertung (BfR) beauftragt, die Gefahren für Kinder abzuschätzen. Das Urteil der Forscher ist eindeutig: Es besteht wegen Krebsgefahr dringender Handlungsbedarf.
Tickende Zeitbombe
PAK sind eine Zeitbombe. „Sie reichern sich im Fettgewebe an, und man behält sie ein Leben lang”, sagt die Toxikologin Eva Frei vom Deutschen Krebsforschungszentrum zur WAZ. Der Krebs entstehe oft erst nach Jahrzehnten. Das BfR unterstreicht, dass Kinder auf Chemikalien empfindlicher reagieren als Erwachsene. Die Krebs erregenden Substanzen sollten überhaupt nicht im Spielzeug sein oder zumindest nicht über Haut und Schleimhäute in den Körper gelangen können. „Das käme die Spielzeughersteller etwas teurer, aber technisch wäre das kein Problem”, meint Jürgen Thier-Kundke vom BfR. Das Institut sagt, man müsste bei Spielzeug ähnlich strenge Regeln anwenden wie bei Lebensmitteln.
Juristische Konsequenzen haben Spielzeuganbieter nicht zu befürchten, wenn sie Produkte mit PAK im Sortiment haben. Die EU-Spielzeugrichtline toleriert in Spielzeug 1000 Mal höhere PAK-Konzentrationen als in Autoreifen. PAK werden bei der Verarbeitung von Kautschuk eingesetzt: Aus Kostengründen wird Kautschuk künstlich gestreckt, und dann chemisch wieder weich gemacht.
Der eigenen Nase vertrauen
Und wie erkennt man das gefährliche Spielzeug? Oft mit der Nase. „Ich nenne das ,Ein-Euro-Laden-Geruch'. Das beißt geradezu in der Nase”, sagt Stefanie Drückler (TÜV Rheinland). Verbraucherschützer empfehlen, auf das GS-Gütezeichen zu achten.
Rainer Weiskirchen vom TÜV Rheinland gibt Tipps, wie Verbraucher gesundheitsgefährdende Spielzeuge erkennen können:
„Wichtig ist die Nasen-Prüfung. Wenn Sie einen stechenden Geruch feststellen, dann: Finger weg. Produkte mit dem GS-Gütesiegel sind sicher. Aber das GS-Zeichen ist bei Spielzeug leider nicht sehr verbreitet. Verbraucher sollten Spielzeug dort kaufen, wo man sicher reklamieren kann. Also nicht in No-Name-Läden oder im Internet. Auch der Preis kann ein Indikator sein für Qualität. Namhafte Hersteller oder Vertreiber achten eher auf den Gesundheitsschutz. Aber teures Spielzeug ist nicht automatisch sicher.”
Laut Weiskirchen kommen 75 Prozent der in Deutschland verkauften Spielzeuge aus China. „Das heißt aber nicht, dass man die Produkte grundsätzlich meiden sollte. Es gibt auch in China Hersteller, die ohne PAK auskommen.”