Mülheim/Essen. Jetzt schon 48 Stunden hält das Drama um den Ausbruch aus Aachen das Ruhrgebiet in Atem. Heckhoff gefasst, Michalski flüchtig, und in Mülheim ist die Furcht angekommen, die zuvor in Essen war.

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© WAZ FotoPool

Das erste Pack-Ende findet die Polizei in der Straße „Dimbeck” in Mülheim: Das Fluchtfahrzeug der letzten Nacht, den dunklen 5er-BMW mit dem auffälligen Kennzeichen E-PS 1010, ein Fußgänger hat ihn erkannt, hat angerufen um viertel nach zehn.

Es ist das Auto, das Heckhoff und Michalski am Samstag in Essen-Werden gekapert haben, nun parkt es hier in einem ruhigen Wohnviertel, fünf Fußminuten von der Innenstadt, direkt vor dem Eingang der Freilichtbühne – gegenüber: Alter Friedhof.

Kurze Zeit nur observiert die Polizei das Auto, da entdeckt sie auch schon ganz in der Nähe Michael Heckhoff; was dann passiert, beschreibt die Polizei später als Überwältigung, „sehr schnell und sehr heftig”, wie ein Spezialeinsatzkommando (SEK) das eben macht. Schüsse jedenfalls fallen nicht.

Zu diesem Zeitpunkt, kurz nach 11 Uhr morgens, ist Peter Paul Michalski noch in der Nähe, ist in Mülheim-Mitte auf der Flucht, mit Suchhunden verfolgt, doch bewaffnet und auf freiem Fuß. „Wenn da eine Kamera auftauchen sollte, befürchten wir Tote und Verletzte”, sagt Peter Elke, der Polizeisprecher von Essen/Mülheim.

Gladbeck-Alarm

Denn das ist ja das Hintergrundrauschen bei dieser ganzen Flucht: Die Erinnerung an Rösner und Degowski, die Geiselgangster von Gladbeck 1988, die an der Spitze eines Medientrosses eine Spur der Toten quer durch Deutschland hinter sich ließen. Gladbeck-Alarm also! Und noch etwas kommt hinzu: Die letzte große, auch durchs Ruhrgebiet rollende Geiselnahme, das war auch schon Heckhoff, Heckhoff 1991.

18 Jahre später, wieder in Mülheim. Der Mann, der hierher stammt, Heckhoff, ist gefasst. Michalski flieht. Unberechenbar, was er tut, er ist fremd in dieser Stadt und war wohl auch im Duo mit Heckhoff der nachrangige Mann. Nun, am Nachmittag, ist die Mülheimer Innenstadt voller Polizisten in schusssicheren Westen.

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© NRZ

Streifenwagen, Mannschaftswagen, Busse; die Vermummten vom SEK natürlich, bewaffnet. Das Einkaufszentrum Forum durchsuchen sie, den Hauptbahnhof, dann wieder stellen sie Wagen auf zentralen Kreuzungen quer, um Autos zu stoppen, in den Innenraum zu schauen, in den Kofferraum.

Doch Michalski ist weg, oder jedenfalls nicht zu sehen, man weiß das nicht; die Mülheimer reagieren darauf in zweierlei Weise: Einerseits leert sich die Innenstadt, die mittags noch gut besucht war, am Nachmittag merklich, wer möchte schon gern Geisel sein; andererseits bleiben auch viele Menschen stehen an den neuralgischen Punkten und schauen der Polizei en detail zu. Bis zum frühen Abend aber bleibt es dabei: Michalski ist weg – oder jedenfalls nicht zu sehen.

Einkesselung von Essen

Als dieser Tag begann, da waren Kettwig, Werden und auch der Mülheimer Süden aus einem ganz unruhigen Schlaf erwacht, wieder mal. Hier irgendwo würden Heckhoff und Michalski ja noch sein, das stand nahezu fest; und wer die Einkesselung von Essen am Samstagabend sah, die vielen parkenden Streifenwagen am Rande aller Autobahnen Richtung auswärts, der konnte eh nicht glauben, sie kämen noch weit weg.

Doch begonnen hatte die Beunruhigung der halben Stadt mit einem Missverständnis: „Als wir den ersten Hubschrauber hörten, dachten wir noch: Ah, die suchen eine vermisste Person, da ist wieder jemand aus dem Altenheim ausgebüxt”, sagt Wilhelm Meier-Krüger aus Kettwig – an bewaffnete Schwerkriminelle dachte zunächst natürlich noch niemand.

Dann jedoch spricht es sich herum, springt das Lauffeuer vom einen zum andern im Ruhrtal. Kettwig holt die Kinder rein und führt die Hunde Gassi im eigenen Garten, Werden verriegelt Türen, Fenster und Gartenhäuschen, Saarn schließt zweimal ab, und Mintard geht im Keller gucken, ob auch da alles abgesperrt sei.

„Ich hab' schon Angst”, sagt eine Verkäuferin auf dem Weihnachtsmarkt in Werden: „Ich meine, Ausbrecher brauchen Geld, und ich sitze hier mit Geld.” „Bei mir vor dem Haus war auch eine Streife”, sagt eine andere: „Auf der anderen Straßenseite parkte ein dunkler Wagen mit laufendem Motor, und da hat wohl einer die Polizei angerufen.”

Denn vor allem Samstag ist der Tag, an dem die Essener Polizei und das SEK durch die ganze Stadt jagen – denn Hinweise auf die Ausbrecher gibt es für mehr als ein Dutzend ernsthafter Einsätze. Mal wird eine aufgebrochene Laube gemeldet, mal verdächtige Gestalten – gesucht werden halt Allerweltsgesichter in grauen Regenmänteln –, dann wieder fiel angeblich ein Schuss; so geht das den ganzen Tag, in Kettwig und in Katernberg, in Altenessen und im Ruthertal – doch alle Spuren sind falsch.

Die Fahndung nach E-PS 1010

Bis die Täter sich wieder aus der Deckung wagen, bis sie den als Geisel genommenen Geschäftsführer S. aus Werden am frühen Samstagabend in Mülheim-Saarn an die Luft setzen und weiterfahren – der meldet sich am nächsten Haus, die Polizei wird gerufen, und eine Stunde später ist die Fahndung öffentlich nach E-PS 1010.

Von jetzt an sind Heckhoff und Michalski nochmal 15 Stunden wie vom Erdboden verschluckt – was ja auch eine Lösung wäre. So gehen Spekulationen los: In Holland, in Belgien, sonstwo könnten sie sein, und in Werden sagt ein Erster: „Sie haben ja niemandem etwas wirklich Schlimmes getan.”

Eine Einschätzung ist das, die die Polizei da auch schon öfter gehört hat – und für grundfalsch hält: „Bei der Bevölkerung ist ein bisschen der Eindruck entstanden, die haben ja keinen verletzt und gucken so freundlich”, sagt Polizeisprecher Christoph Gilles in Köln: „Sie werden nicht so eingeschätzt wie Rösner und Degowski, dabei sind sie eine Gewichtsklasse mit denen.” Und daher: Gladbeck-Alarm!