Gelsenkirchen. Schon vor 50 Jahren musste Gelsenkirchen herhalten als der Ort, an dem es schlimm sei. Stadt und IHK versuchen mit einer Medien-Offensive abermals, das Ansehen zu verbessern - aber das sei schwerer als vorgestellt, so Oberbürgermeister Frank Baranowski.

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© Ruhr2010

Vor 20 Jahren wären sie unter Tage gefahren, um Gelsenkirchen zu vermitteln, doch heute muss man in die Höhe. Auf den Turm von „Nordstern” etwa, Zeche früher, die schönere Schwester von Zollverein; 80 Meter hat man hier unter sich, und das ist erst der schwindelige Anfang.

Vier gläserne Etagen wird der Hausherr „THS Wohnen” noch draufsetzen, und dann eine 18 Meter hohe Skulptur des Bildhauers Markus Lüpertz, einen ungeschlachten Herkules, mit Keule sogar, damit die Leute die Botschaft aus Gelsenkirchen bloß verstehen: Kraft! Es geht bereits herrlich zänkisch zu um den Herkules, aber die Alternative war furchtbar: ein riesiger Bergmann (mit Lampe)!

Die Arbeitslosigkeit, der Einwohnerschwund, und so weiter, und so fort: Gelsenkirchen gilt vielen Medien als das Elend im Westen; im Osten führen sie nach Hoyerswerda. Die kaputtesten Straßen, die obdachlosesten Obdachlosen? Auf geht's, Gelsenkirchen!

"Das Image ist gelernt"

Weshalb Stadt und IHK nun ein Dutzend auswärtige Journalisten ausführten, um andere Seiten zu zeigen. „Ich habe es mir leichter vorgestellt, das Image zu drehen”, sagt der kluge Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD): „Aber das Image ist gelernt.” Das geht um seinen Vorgänger Oliver Wittke (CDU), der den Verfall betonte, um Hilfe einzuwerben.

Heute noch fragen Journalisten bei Baranowski an, sie doch mal dorthin zu führen, wo es schlimm ist, also: wirklich schlimm. Den Einseitigen verweigert er sich, aber „sich zurückzulehnen und zu denken, jetzt bin ich aber beleidigt, ist auch keine Lösung”.

Zoom haben sie gezeigt, die neue Zoo-Welt, die schon als Baustelle Besucherrekorde bricht; oder ein Baugebiet in Bismarck am Wasser, wo man einmal sehr schön wohnen wird. Das ist nun wirklich Fortschritt in einer Stadt, zu deren rotem Selbstverständnis es früher gehörte, die Leute brauchten eigentlich keine Grundstücke, keine eigenen Häuser.

So ist Gelsenkirchen stecken geblieben in einer 70er-Jahre-Modernität: Und aufzuholen ist Kampf. Ein Bild für dies alles steht mitten in der Stadt: Das Hans-Sachs-Haus, das historische Rathaus, ist derzeit nur eine Fassade, die mit gewaltigen Klammern aufrecht erhalten wird und das Nichts umhüllt; aber aus dem Inneren dröhnt Baulärm.

Ingenieursstellen schwer zu besetzen

Das schlechte Image ist mehr als üble Nachrede, es macht sich in der Wirklichkeit bemerkbar. So habe Eon die größten Probleme, Ingenieursstellen hier zu besetzen, sagt Peter Schnepper, Trommler für Gelsenkirchen und Geschäftsführer der IHK: „Das sind nicht einmal die Ingenieure selbst, da geht die Familie auf die Barrikaden. Kriegt die Frau in so einer Stadt auch einen Job? Und wo landen unsere Kinder da?”

Schnepper kennt solche Gespräche sehr gut, er musste sie selbst zuhause führen; und er wohnt bis heute in Münster, wegen der schulpflichtigen Kinder.

Halde Oberscholven, 150 Meter hoch, ganz im Norden. Es ist dunkel. In seinen Lichtern wirkt Gelsenkirchen wie eine Weltstadt, und „Nordstern” liegt von hier aus im Süden – verrückte Welt!

Irgendwo da unten liest an diesem Abend der Kabarett-Chansonnier Georg Kreisler (87) aus seinem Werk; jener Kreisler, der vor 50 Jahren ein Lied über Gelsenkirchen schrieb: „Wer zu lang dort lebt, bekommt beim Atmen leichte Krämpfe / Aber wer lebt dort schon lang?” Heute sagt Kreisler dazu: „Das hätte genausogut auch Essen sein können. Damals habe ich eigentlich nur die Luftverschmutzung kritisiert, da musste halt Gelsenkirchen den Sündenbock spielen.” Und das kann man getrost mal verallgemeinern.