Düsseldorf. Der Gemeindefinanzbericht legt eine dramatische Finanzlage der Kommunen offen. Die Schieflage trifft NRW-Städte besonders hart.
Die Anzeige in der WAZ, mit der die Stadt Gelsenkirchen einen Kämmerer sucht, war ungewollt vielsagend platziert – zwischen der unbesetzten Stelle eines Sozialpädagogen und der eines Servicemonteurs. Ironie der Finanzklemme: Tatsächlich muss der neue Geldmanager in der hochverschuldeten Revierstadt über vielfältige Qualitäten verfügen, Zumutungen schonend verkaufen und Etatlöcher reparieren. Gewünscht ist eine, „kreative Persönlichkeit”, die nach B 5 bezahlt wird, also mit 7283 Euro plus Zulagen.
8470 Euro soll der künftige Kämmerer und Beigeordnete in Dortmund verdienen – für einen Job, der ebenfalls nicht vergnügungssteuerpflichtig ist. Nach der Wahlbetrugs-Affäre und dem Rauswurf seiner Vorgängerin, die zum falschen Zeitpunkt die richtigen Etatzahlen genannt hatte, wird der Rat dem Nachfolger misstrauisch auf die Finger schauen. Anderen Kommunen geht es finanziell nicht besser. „Wir sind ausgepresst wie eine Zitrone”, beschreibt Norbert Bude, Vorsitzender des Städtetags, mit drastischen Worten die Kassenlage fast aller Großstädte an Rhein und Ruhr.
Extreme Sozialausgaben
Schwarz auf weiß belegte der Verband gestern in seinem Gemeindefinanzbericht, wie „dramatisch” die Situation inzwischen ist. Die Schieflage treffe NRW-Städte besonders hart, weil ihre Sozialausgaben bei weitem die höchsten sind – beispielsweise bei den Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose oder der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Pro Kopf gaben NRW-Kommunen im Jahre 2008 dafür 626 Euro aus, bei allen westdeutschen Kommunen waren es nur 513 Euro.
Die Städte fühlen sich im Stich gelassen. Der Bund beschließe „ungebremst” Gesetze wie etwa zur Betreuung unter Dreijähriger, die das Land im Bundesrat widerstandslos passieren lasse, klagt Geschäftsführer Stefan Articus. Die Rechnung werde den Kommunen präsentiert, explodierende Sozialkosten ersticken notwendige Investitionen: Die NRW-Städte geben dafür pro Kopf nur 163 Euro aus, weit weniger als ganz Westdeutschland mit 269 Euro. Die Folgen kann OB Bude auch in seiner Stadt Mönchengladbach besichtigen. „Gebäude verfallen, Schulen sind in schlechtem Zustand”, sagt der Sozialdemokrat, „bei uns herrscht Mängelverwaltung.”
Da auch die Finanzausstattung der Kommunen dünner sei als in anderen Flächenländern, sieht Articus die „reale Gefahr” der Überschuldung für jede zweite Großstadt. Schon jetzt befinde sich jede dritte in Haushaltssicherung. Einbrüche von mehr als 18 Prozent bei der Gewerbesteuer im laufenden Jahr, so die Prognose, werden weitere Schuldenberge auftürmen. Schon jetzt seien die Kassenkredite der Städte und Gemeinden zur Finanzierung ihrer laufenden Ausgaben auf 16 Milliarden Euro gestiegen – pro Einwohner seien es nur im Saarland und in Rheinland-Pfalz mehr. „Dagegen können wir nicht ansparen”, resigniert Articus.
"Rettungsschirm" nötig
Die vom Land geforderte Schuldenhilfe könnte ein „Rettungsschirm” oder ein „Konsolidierungspakt” sein, um die Schulden- und Zinslast etwas zu drücken. „Allein kommen wir da nicht mehr raus”, sagt Bude. SPD-Landeschefin Hannelore Kraft hatte bereits vor einem Jahr gefordert, dass die NRW.Bank von „armen” Städte Altschulden in Höhe von sieben Milliarden Euro übernimmt und für fünf Jahre Zinsen und Tilgung finanziert. Wer in dieser Zeit den Einstieg in eine „strukturelle Konsolidierung” schafft, solle mit Schuldenerlass bis zu 50 Prozent belohnt werden.
Viel Arbeit also auch für den künftigen Kämmerer von Gelsenkirchen, der gegen ein 130-Millionen-Defizit kämpfen muss. „Er muss bei geringeren Einnahmen dafür sorgen, dass unsere Stadt lebenswert bleibt”, sagte OB Frank Baranowski (SPD) der WAZ, „das ist die Quadratur des Kreises.”